Von Ralf LIEBELT
Abb. 1: Am 31.3.2008 auf der Ostwestfalenstraße (B 252) gefundenes Verkehrsopfer: Wildkatze
(Foto: Dr.-Ing. Kersten Hänel)
Da Wildkatzen anhand äußerer Merkmale zum Teil nur schwer von wildfarbenen Hauskatzen zu unterscheiden sind, können Beobachtungen im Gelände zwar eine relativ sichere Bestimmung ermöglichen. Zweifelsfrei nachvollziehbar sind Wildkatzen-Meldungen aber dann, wenn ein Totfund eindeutig bestimmt und dokumentiert werden kann. Eindeutig dokumentierte Nachweise aus dem Raum Egge-Weser waren dem Verfasser bis zum Jahr 2008 nicht bekannt.
Im letzen Heft der "Beiträge zur Naturkunde zwischen Egge und Weser" (Heft 19) stellte der Verfasser Beobachtungen von Wildkatzen etwa aus den vergangenen 20 Jahren zusammen (Liebelt 2007). Die Totfunde wurden aufgeführt, auch wenn keine nachvollziehbaren Dokumentationen vorlagen. Das Verkehrsopfer aus dem Brakeler Stadtwald wurde vom damaligen Kreisveterinär bestimmt. Eine Dokumentation hierüber ist aber bis heute nicht auffindbar, da dieser Kreisveterinär verstorben und der Fund verschollen ist. Ein weiterer Fund aus der Südegge konnte zunächst ebenfalls nicht belegt werden, stellte sich aber in diesem Jahr als der Fund heraus, der von der Jägerschaft mitgeteilt wurde (s. u.).
Um so "erfreulicher" waren einerseits dann die im Jahr 2008 eintreffenden Meldungen weiterer Totfunde - andererseits sind Totfunde leider immer ein erheblicher Verlust für die Population dieser seltenen Säugetierart:
Ende März 2008 gelang ein Nachweis anhand eines Verkehrsopfers, welches auf der Ostwestfalenstraße (B 252) bei Brakel im Waldgebiet Hinnenburg gefunden wurde. Ein weiteres Verkehrsopfer am Kiekenstein bei Höxter-Stahle wurde im August 2008 als Wildkatze angesprochen, wobei letzte Zweifel erst durch das Ergebnis des noch ausstehenden DNA-Testes beseitigt werden könnten. Eine weitere Meldung erreichte den Verfasser durch telefonische Befragungen bei der Jägerschaft. Im Juli 2001 wurde eine tote Wildkatze in der Südegge gefunden und als Präparat dem "Lernort Natur" der Kreisjägerschaft Höxter zur Verfügung gestellt.
Ende November 2008 schließlich konnte der Verfasser zwei in Lebend-Fallen gefangene Katzen aus Wäldern bei Beverungen fotografieren.
Im Folgenden werden die vier Meldungen genauer beschrieben.
Am 31.März 2008 fand Dr.-Ing. Kersten Hänel, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Kassel, Fachgebiet Landschaftsökologie/Bodenkunde, das in Abbildung 1 zu sehende Verkehrsopfer (im weiteren Text als "Hinnenburger Wildkatze" bezeichnet). Er benachrichtigte das Regionalforstamt Hochstift und diese dann die Landschaftsstation im Kreis Höxter in Borgentreich.
Abb. 2: Präparat der "Hinnenburger Wildkatze"
Abb. 4a: "Hinnenburger Wildkatze", seitlich (Foto: Johannes Lang)
Abb. 4a: "Hinnenburger Wildkatze", Bauchseite (Foto: Johannes Lang)
Abb. 7: "Hinnenburger Wildkatze", Rückenseite (Foto: Johannes Lang)
Die Katze war nur wenig beschädigt (u. a. Schädel und Darm erhalten) und wurde von den Mitarbeitern der Universität Kassel, nach Einholung aller nötigen behördlichen Genehmigungen und einer längeren "Wartezeit" in der Gefriertruhe, Herrn Dr. Franz Müller, Gersfeld/Rhön, übergeben. Dieser untersuchte die Katze morphologisch/anatomisch. (vgl. Abb. 3, 4 und 7). Die Katze wurde präpariert und befindet sich heute als Anschauungsobjekt im Besitz der Universität Kassel (Fachgebiet Landschaftsökologie/Bodenkunde, Abb. 2).
Das Hirnvolumen als ein entscheidendes Bestimmungsmerkmal wurde von Herrn Müller mit 38,5 ccm angegeben. Nach Piechocki (1990) sind alle Katzen mit über 35 ccm zweifelsfrei Wildkatzen. Die Darmlänge als zweites entscheidendes Kriterium betrug nach Müller 133 cm. Nach Piechocki (1990) haben Hauskatzen stets eine Darmlänge über 150 cm. Auch phänotypisch zeigt die Katze eindeutig Wildkatzen-Merkmale.
Abb. 3: Von Dr. Franz Müller ausgefüllter Protokollbogen über die untersuchte "Hinnenburger Wildkatze"
Am 8. August 2008 wurde an der Bundesstraße 83 nordwestlich von Höxter-Stahle am Kiekenstein eine überfahrene Katze gefunden, die stark beschädigt war. Nach Abnahme der Maße – soweit möglich - und Probe-Entnahme für eine DNA-Analyse durch Frau Dipl. Biol. Bärbel Pott-Dörfer (Niedersächsischer Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz, Bereich Säugetierschutz) wurde das Tier am Fundort liegen gelassen.
Der Verfasser wurde bald darauf von diesem Fund benachrichtigt. Im Folgenden die von Frau Pott-Dörfer festgestellten Merkmale:
Das Tier wurde von Frau Pott-Dörfer in der Gesamtbetrachtung aller erkennbaren Merkmale als Wildkatze bestimmt. Da die Katze stark beschädigt war, konnten die sehr sicheren Bestimmungs-Merkmale Schädelinhalt und Darmlänge nicht überprüft werden. Zur zweifelsfreien Bestimmung muss somit das Ergebnis der DNA-Untersuchung abgewartet werden.
Abb. 5a + b: Präparierte Wildkatze aus der Südegge (Fotos: Ralf Liebelt)
Abb. 5c + d: Präparierte Wildkatze aus der Südegge (Fotos: Ralf Liebelt)
Durch telefonische Befragungen erhielt der Verfasser von den Jägern Freiherr von Zitzewitz und Herrn Kiens einen Hinweis, dass sich in der Südegge eine Wildkatze im Juli 2001 an einem Forstgatterzaun aufgehängt hatte. Diese Katze wurde präpariert und ist seit einiger Zeit öffentlich zu besichtigen, wenn der "Lernort Natur" der Kreisjägerschaft Höxter auf Veranstaltungen Präparate heimischer Wildtiere zeigt. Sie wurde vom Verfasser fotografiert (Abb. 5 und 8). Dr. H. Vierhaus, Dipl.-Biol. B. Pott-Dörfer und Dipl.-Biol. K. Dörfer (mdl.) schlossen sich nach Betrachtung der farbigen Fotos dem Urteil der o. g. Jäger an, dass es sich hierbei phänotypisch eindeutig um eine Wildkatze handelt. Das Fell ist mit der hellgrauen Farbe, die teilweise einen braungelblichen Unterton hat, typisch für eine Wildkatze. Die Schwanzspitze ist nach Mitteilung von Herrn Kiens etwas beschädigt: Sie ist nicht dicht und buschig ausgeprägt, sondern etwas "ausgefranst". Durch regelmäßige Verwendung in Ausstellungen ist ein kleiner Teil der Spitze verloren gegangen. So ragt ein zum Innenteil des präparierten Schwanzes gehörender Nagel über das Schwanzende hinaus.
An diesem Präparat wurden vom Verfasser einige Körper-Maße genommen:
Vor allem die Kopf-Rumpf-Länge von 67,5 cm spricht bei einem Vergleich mit Daten aus Piechocki (1990) für die Wildkatze, da dort eine Maximal-Länge von 67 cm für Wildkatzen-Kuder angegeben wird. Die Schwanzlänge von 31 cm liegt im Durchschnittsbereich der bei Piechocki angegebenen Wildkatzen-Kuder-Schwanzlängen. Hauskatzen-Kater können demnach bis 34,5 cm lange Schwänze haben, der Mittelwert beträgt allerdings 27,8 cm. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Schwanzspitze des Egge-Präparates leicht beschädigt ist, so dass die ursprüngliche Länge vermutlich etwas größer war. Eher untypisch für Wildkatzen wäre dagegen beim Vergleich mit den Daten von Piechocki der mit 12,5 cm relativ kurze Hinterfuß, zumindest wenn wegen der oben genannten Maße von einem Kuder ausgegangen würde. Wildkatzen-Kuder haben nach Piechocki eine Hinterfuß-Länge zwischen 12,8 und 14,0 cm.
Bei Betrachtung aller äußeren Merkmale zusammen ist nach Einschätzung des Verfassers davon auszugehen, dass hier auf äußere Merkmale bezogen ein Präparat einer Wildkatze vorliegt.
Da keine Daten zu Schädelvolumen, Darmlänge und DNA vorliegen, mag ein geringer Zweifel an der Einschätzung berechtigt sein. So ist es nicht ganz auszuschließen, dass es sich um einen Blendling (Kreuzung Wildkatze x Hauskatze) handelt.
Abb. 8a + b: Präparierte Wildkatze aus der Südegge
(Fotos: Ralf Liebelt)
Abb. 6a-c: Fotos der "Beverunger Wildkatzen"
(Fotos: Ralf Liebelt)
Am 29.11.2008 erhielt der Verfasser einen Anruf von der Försterin Frau Wolff, Beverungen, dass zwei wildfarbene Katzen in Waschbärfallen eines Jagdberechtigten im Waldgebiet um Beverungen gegangen seien. Der Verfasser konnte diese Katzen etwa eine Stunde nach der Benachrichtigung in den Fallen fotografieren (Abb. 6a-c). Die Katzen hatten nach Einschätzung des Verfassers viele eindeutige Merkmale von Wildkatzen, deutliche Hauskatzen-Merkmale waren nicht erkennbar (bezogen auf Schwanzform und -musterung, Fellfärbung und –musterung, Nasenspiegel, Kehlfleck, Aalstrich, Nackenstreifen, Kopfform, Tasthaare). Auf Stirn und Kopf der kleineren Katze (Abb. 6c und 9) waren nicht die für Wildkatzen typischen schwarzen Streifen, sondern ein verwaschen dunkles Muster zu erkennen. Beide Katzen ergriffen nach ausreichender Öffnung der Fallen in hohem Tempo die Flucht.
Die Katzen waren nach Einschätzung des Verfassers ausgewachsen, wobei die Katze in der Holzfalle deutlich größer war. Bemerkenswert ist, dass die Fallen nur etwa 650 m voneinander gestellt waren. Möglicherweise wurden hier ein Kuder und eine Katze aus zwei sich überlagernden Revieren gefangen.
In den letzten knapp vier Jahrzehnten ist nach Einschätzung von Frau Geiger-Roswora (LANUV) und Herrn Dr. Vierhaus (mdl.) im rechtsrheinischen Gebiet Nordrhein-Westfalens kein eindeutig belegter Nachweis bekannt geworden. Nachweise aus dem 20. Jahrhundert werden bei Schröpfer et al. (1984) genannt. Hierin wird Röben (1974) zitiert, der von folgenden Meldungen berichtet: ".... Kreis Brilon (letzter Nachweis 1919), Kreis Büren (letzter Nachweis 1937), Kreis Beckum (Ahlen, wieder nachgewiesen 1960), Kreis Meschede (Oberkirchen, wieder nachgewiesen 1969)..." (Schröpfer et al. 1984, S. 324). Für den Raum Ostwestfalen-Lippe stammen die letzten Meldungen nach Schröpfer et al. (1984) aus dem 19. Jahrhundert. Inwieweit die beiden Wiederfunde dokumentiert sind, ist dem Verfasser nicht bekannt. Dies wäre v. a. für die Meldung aus dem Kreis Beckum bedeutsam, da eine Wildkatzen-Meldung aus dem münsterländischen Flachland für diesen Zeitraum relativ unwahrscheinlich ist.
Vor diesem Hintergrund hat vor allem der eindeutige Nachweis der "Hinnenburger Wildkatze" eine Bedeutung für Nordrhein-Westfalen, die über den Raum Egge-Weser hinausgeht.
Bemerkenswert ist zudem, dass es sich bei der "Hinnenburger Wildkatze" um ein Weibchen handelt, das mit drei kleinen Embryonen trächtig war. Bei der Katze vom Kiekenstein deutet die Beschreibung der Zitzen darauf hin, dass diese Katze Junge hatte. Der gleichzeitige Fang von zwei Wildkatzen (phänotypisch eingeschätzt) bei Beverungen ist ein Hinweis auf zwei feste, sich überlappende Reviere. Dies alles sind Hinweise auf eine kleine fortpflanzungsfähige Population.
Durch die seit Jahren regelmäßigen glaubhaften Beobachtungen von Wildkatzen (z. T. mit Jungen) und durch die beschriebenen Totfunde ist davon auszugehen, dass die Wildkatze im Kreis Höxter und darüber hinaus in einer kleinen Population bodenständig ist. Der bisherige Kenntnisstand lässt den Schluss zu, dass mehr oder weniger im gesamten Kreisgebiet Höxter mit Wildkatzen gerechnet werden muss. Dies bezieht sich zwar vor allem auf die Waldgebiete und die dazwischen liegenden Offenlandbereiche im nördlichen Kreisgebiet und auf die Egge, es ist aber nicht auszuschließen, dass sich Wildkatzen auch in offeneren Landschaften aufhalten, sofern genügend Deckung durch Hecken, Feldgehölze oder hochwüchsige krautige Vegetation wie Brachen, hohes Getreide oder Maisfelder vorhanden ist. Dies sollte bei der Jagd auf wildfarbene Hauskatzen bedacht werden.
Die Wildkatze hat im Naturschutzrecht einen hohen Schutz-Status. Nach dem Bundesnaturschutzgesetz (§ 10, Abs. 2, Nr. 11) ist sie eine streng geschützte Art, da sie in der Richtlinie 92/43/EWG (FFH-Richtlinie) in Anhang IV genannt ist.
In Nordrhein-Westfalen ist die Wildkatze zudem eine sehr seltene Art. Der Schwerpunkt der Verbreitung liegt in der Eifel. Rechtsrheinisch gibt es nur sehr wenige Gebiete, aus denen Wildkatzen-Beobachtungen gemeldet werden. So gilt sie nach der Roten Liste in Nordrhein-Westfalen als "vom Aussterben bedroht" (Feldmann et al.1999).
Aus diesen Gründen muss das bodenständige Vorkommen der Wildkatze im Raum Egge-Weser auch im Rahmen der Landschaftsplanung (v. a. bei Beeinträchtigungen im Bereich von Waldgebieten) und der Forstwirtschaft berücksichtigt werden.
Der Verfasser bedankt sich sehr bei allen Personen, welche die Grundlagendaten für diese Veröffentlichung erarbeitet und zur Verfügung gestellt haben. Vor allem möchte ich nennen:
Dipl. Biol. Karsten Dörfer (Korrektur-Hinweise), Dr.-Ing. Kersten Hänel (Finder der "Hinnenburger Wildkatze", Fotos), Hans-Josef Kiens (Mitteilung des Südegge-Präparates), Dipl. Biol. Johannes Lang (Fotos, Transport der Hinnenburger Katze zu Herrn Müller), Dr. Franz Müller (Bestimmung und Dokumentation der "Hinnenburger Wildkatze"), Dipl. Biol. Bärbel Pott-Dörfer (Bestimmung der Katze vom Kiekenstein, Einschätzung des Südegge-Präparates, Korrektur-Hinweise), Dr. Henning Vierhaus (Einschätzung des Südegge-Präparates), Friederike Wolff und der Jagdberechtigte (Benachrichtigung über Fallen-Fänge), Ralph Freiherr von Zitzewitz (Mitteilung des Südegge-Präparates)
Der Verfasser wäre sehr dankbar, wenn auch weiterhin Verkehrsopfer von wildfarbenen Katzen und auch Wildkatzen-Beobachtungen dem Regionalforstamt Hochstift, der Landschaftsstation oder dem Verfasser mitgeteilt würden und hofft auf eine weiterhin vertrauensvolle Zusammenarbeit.
Feldmann, R., R. Hutterer & H. Vierhaus, 1999: Rote Liste der gefährdeten Säugetiere in Nordrhein-Westfalen, 3. Fassung – In: LÖBF/LAfAO NRW (Hrsg.): Rote Liste der gefährdeten Pflanzen und Tiere in Nordrhein-Westfalen, 3. Fassung – LÖBF-Schriftenreihe 17: 307-324.
Liebelt, R. (2007): Zum Vorkommen und zur Erfassung der Wildkatze (Felis silvestris Schreber 1777) im Egge-Weser-Gebiet. – Beiträge zur Naturkunde zwischen Egge und Weser 19 (2007): 73-79.
Piechocki, R. (1990): Die Wildkatze. – Ziemsen, Lutherstadt Wittenberg (= Neue Brehm-Bücherei) 232 S.
Röben, P. (1974): Die Verbreitung der Wildkatze, Felis silvestris Schreber 1777, in der Bundesrepublik Deutschland. – Säugetierkundl. Mitt. 22: 244-250.
Schröpfer, R., R. Feldmann und H. Vierhaus, Hrsg. (1984): Die Säugetiere Westfalens. – Abh. Westfäl. Museum für Naturkunde Münster 46: 1-393.
Meldungen von Wildkatzenfunden und -sichtungen, wenn möglich, direkt an den Autor (Tel.: 05271 / 38 08 32 E-Mail: ralf.liebelt@freenet.de), ersatzweise an die Umweltdatenbank im Kreis Höxter (Tel.: 05643 / 94 88 02, Fax: 94 88 01, E-Mail: umweltdatenbank@landschaftsstation.de).
Anschrift des Verfassers: Dipl.-Ing. Ralf Liebelt Büro für Ökologie und Landschaftsplanung Altes Forstamt 1 37691 Boffzen Tel.: 05271/380 832 ralf.liebelt@freenet.de