Von Mathias LOHR und Frank GRAWE
Das zur Familie der Orchideen gehörende Dreizähnige Knabenkraut (Orchis tridentata Scop.) ist eine auffallende Pflanze unserer Kalk-Halbtrockenrasen. Ihretwegen besuchen alljährlich zahlreiche Orchideenfreunde unsere Region.
Manche Autoren führen den deutschen, wie auch den lateinischen Namen der Pflanze auf die spitz zulaufenden, nach außen gebogenen Zipfel der drei äußeren Blütenkronblätter zurück (www.orchideen-kartierung.de, AHO NRW 2001), andere auf die dreilappige Lippe (Baumann 2005; vgl. Abb. 1). Der Gattungsname (griechisch: Hoden) leitet sich von den an die Form von Hoden erinnernden Wurzelknollen der Pflanze ab.
Abb. 1: | Blütenstand des Dreizähnigen Knabenkrautes (Orchis tridentata) (Foto: Frank Grawe) |
Die mit 15 bis 25 cm Wuchshöhe relativ kleine, aber insgesamt kräftige Pflanze hat eine grundständige Blattrosette aus drei bis fünf silbrig überlaufenen, blaugrünen, lanzettlichen Blättern sowie ein bis zwei scheidige Stängelblätter.
Der dichte Blütenstand des Dreizähnigen Knabenkrautes hat einen halbkugeligen bis kugeligen Umriss. Die Blütenfarbe ist sehr variabel, meist reicht sie von hellrosa bis purpurrot. Typisch sind die dunkleren Punkte, sog. „Saftmale“. Selten kommen auch reinweiße Exemplare vor (vgl. Abb. 2).
Die Blütezeit des Dreizähnigen Knabenkrautes im Kreis Höxter beginnt in Jahren mit frühem Vegetationsbeginn bereits Anfang Mai und endet in späten Jahren Anfang Juni.
Die Bestäubung der auffallenden - im Gegensatz zu zahlreichen anderen Orchideen allerdings kaum duftenden - Blüten erfolgt vor allem durch Hautflügler. Spontane Selbstbestäubung kommt nicht vor.
Die Früchte des Dreizähnigen Knabenkrautes sind Kapseln mit hygroskopisch verschließbaren Längsspalten. Aus ihnen werden die winzig kleinen, mit Luftsäcken ausgestatteten Samen bei trocken-warmem Wetter in großer Zahl vom Wind über weite Strecken verbreitet (Anemochorie). Die Pflanze fällt durch ihren ausgesprochen guten Fruchtansatz von etwa 70 % auf (Baumann 2005). Um die Samen leicht zu halten, fehlt ihnen das bei den meisten Pflanzen vorhandene Nährgewebe mit Reservestoffen. Zur „Erstversorgung“ mit Nährstoffen geht der Keimling eine Symbiose (zunächst handelt es sich streng genommen um Parasitismus) mit einem spezifischen Wurzelpilz ein, ohne dessen Vorhandensein eine Keimung nicht möglich ist.
Als Geophyt (= „Erdpflanze“) verfügt Orchis tridentata über eine Knolle als Speicherorgan. Diese wird überwiegend aus Wurzelgewebe, in ihrem oberen Teil auch aus Sprossteilen gebildet. Aus dem sprossbürtigen Anteil der Knolle erwachsen im Folgejahr die oberirdischen Pflanzenteile. Aus der Achsel des untersten Niederblattes entsteht dann eine neue Knolle, welche die oberirdischen Teile des darauf folgenden Jahres hervorbringt. Aufgrund dieser jährlichen Abfolge spricht man von einer Wechselknolle.
Wenn der Blütenstand verbissen wird, vermehrt sich die Pflanze durch basale Brutknospen vegetativ und bildet im Folgejahr mehrere nahe beieinander wachsende Blütenstände (Siebert 1998).
Sicher nachgewiesene Hybriden bildet das Dreizähnige Knabenkraut in Deutschland lediglich mit dem Brand-Knabenkraut (Orchis ustulata) in Thüringen, wo beide Arten gemeinsam vorkommen.
Abb. 2: | Selten finden sich reinweiße Exemplare von Orchis tridentata, wie hier im Nethetal (Foto: Frank Grawe) |
Gemäß der früher üblichen Signaturenlehre („Signum dei“), nach der die Heilkraft einer Pflanze aus ihrem Aussehen bzw. ihrer Form ableitbar sei, wurde Orchis tridentata - wie andere Orchideen auch und mit ebenso zweifelhafter Wirksamkeit - als Aphrodisiakum verwandt.
Eine nachgewiesene Wirksamkeit hat hingegen die in den Knollen enthaltene Schleimdroge Salep, die Orchis tridentata wie viele andere Orchis-Arten besitzt. Sie findet insbesondere in der Kinderheilkunde gegen Reizerscheinungen des Magen-Darm-Traktes Anwendung. Die Wurzelknollen enthalten mehr als 50 % schleimige Polysaccharide, z. B. Mannane (Düll & Kutzelnigg 1992).Das Dreizähnige Knabenkraut ist eine wärme- und lichtbedürftige Art. Als Volllichtpflanze weist es nach Ellenberg (1974) eine Lichtzahl 9 und als Wärmezeiger eine Wärmezahl 7 auf. Es bevorzugt mäßig geneigte, mäßig bis voll besonnte Südhänge mit einer geringmächtigen Streufilzauflage.
Im Kreisgebiet findet sich das Dreizähnige Knabenkraut auf relativ flachgründigen, mageren Kalkverwitterungsböden auf Muschelkalk, so genannten Rendzinen. Aufgrund des klüftigen Untergrundes und der Geringmächtigkeit der Böden weisen diese Standorte eine relativ schlechte Wasserversorgung auf. Orchis tridentata zeigt somit stickstoffärmste bis stickstoffarme Standorte an (Stickstoffzahl 2), ist ein Basen- und Kalkzeiger (Basenzahl 9) sowie ein Trockniszeiger (Nässezahl 3) (ebenda). In Hessen und Thüringen kommt die Art in guten Beständen auch auf Zechstein vor.
Ihr Optimum erreicht Orchis tridentata auf extensiv durch Schafe – bei entsprechend geringer Besatzdichte auch durch Rinder – beweideten oder gerade brach gefallenen Kalkmagerrasen.
Abb. 3: | Verbreitungskarte des Dreizähningen Knabenkrauts (Orchis tridentata) in Deutschland (Arbeitskreise Heimische Orchideen 2005, verändert) |
In geringeren Dichten findet es sich ferner in leicht oder mäßig versaumten oder verbuschenden Beständen. Die Art verschwindet aber meist wenige Jahre nach Aufgabe der Beweidung.
Vegetationskundlich betrachtet ist das Dreizähnige Knabenkraut eine Kennart (Assoziationscharakterart) der beweideten Enzian-Schillergrasrasen (Gentiano-Koelerietum pyramidatae (Knapp 1942)).
Im Kreis Höxter kommt es in folgenden Subassoziationen des Gentiano-Koelerietum vor (Projektgruppe Halbtrockenrasen 1993):Orchis tridentata gilt als typische Art mit mediterranem und submediterranem Verbreitungsschwerpunkt. Ihr Hauptareal erstreckt sich von Vorderasien über den Balkan und Italien bis an den Südrand der Alpen und der Karpaten. Weit nach Norden abgesetzt von diesem geschlossenen Areal hat das Dreizähnige Knabenkraut in Mitteleuropa zwei isolierte Teilareale. Eines davon erstreckt sich auf das untere Odertal, das andere umfasst Teile von Ostwestfalen, Südniedersachsen, das südliche Sachsen-Anhalt sowie Nordhessen und Thüringen (vgl. Abb. 3).
Abb. 4: | Rasterverbreitungskarte von Orchis tridentata für den Kreis Höxter und Umgebung (TK 25-Viertelquadrante). |
Über das beschriebene Teilareal hinaus liegt aus Nordbayern ein Einzelfund aus den 1990er Jahren vor. Verschollen ist die Art im südlichen Hessen sowie in Mecklenburg-Vorpommern und in Sachsen (Baumann 2005).
In Nordrhein-Westfalen liegt der Verbreitungsschwerpunkt im Kreis Höxter. Darüber hinaus sind lediglich ein Fundort im Kreis Paderborn und einige wenige - wenn auch z. T. individuenreiche - Fundorte aus dem Hochsauerlandkreis bekannt. Im Kreis Höxter ist Orchis tridentata vor allem auf den Kalk-Halbtrockenrasen der klimatisch begünstigten Täler der Diemel und der unteren Nethe verbreitet (vgl. Abb. 4).
Hier bildet die Art sehr individuenreiche Vorkommen, die in günstigen Jahren mehrere tausend blühende Pflanzen umfassen können (vgl. Abb. 5).
Abb. 5: | Aktuelle, seit 1985 bestätigte Vorkommen von Orchis tridentata im Kreis Höxter und Umgebung mit Angabe der Individuenzahlen in Klassen (Karte: W. Köble) |
Einige wenige Fundorte finden sich um Willebadessen, Dalhausen und Scherfede sowie westlich von Höxter. Hier erreicht die Art ihr nördlichstes Vorkommen in Nordrhein-Westfalen.
Historische Angaben gibt es für zahlreiche Hänge der Oberwesertalung, so für den Feldberg und den Kiekenstein bei Stahle (Beckhaus 1893), den Krekelerberg bei Bosseborn (Jüngst 1869), den Ziegenberg bei Höxter (Beckhaus 1893) sowie den Galgenberg, den Eisberg, das Schiffthal und den Mühlenberg bei Beverungen (Jüngst 1852, Beckhaus 1893), wo die Art im 19. Jahrhundert zumindest teilweise individuenreiche Bestände besaß.
Diese Angaben zeugen von der ehemals weiten Verbreitung von Kalkmagerrasen an den heute von Buchenwäldern bestockten Muschelkalkbergen entlang der Weser. Im Oberwesertal selbst kommt die Art heute nicht mehr vor.
Aus der Tatsache, dass Ostwestfalen innerhalb Deutschlands einen Verbreitungsschwerpunkt von Orchis tridentata darstellt und für Nordrhein-Westfalen mehr als 90 % der Vorkommen und vermutlich auch Individuen im Kreis Höxter zu finden sind, ergibt sich eine besondere Verantwortung des Kreises Höxter für den Erhalt dieser Art.
Das Dreizähnige Knabenkraut wird in den Roten Listen gefährdeter Gefäßpflanzen (Bundesamt für Naturschutz 1996, Landesanstalt für Bodenordnung und Forsten 1999) im Weserbergland, in Nordrhein-Westfalen und auch deutschlandweit als gefährdet eingestuft.
Allgemeine Ursache der Gefährdung ist neben einer Eutrophierung der Kalk-Halbtrockenrasen durch Düngereintrag von benachbarten Ackerflächen oder durch Stickstoffimmission aus der Luft die Sukzession, d.h. die Vergrasung, Versaumung oder Verbuschung der Bestände infolge der Aufgabe der traditionellen Schaf- oder Ziegenbeweidung.
Wesentlich für den Erhalt der Art ist daher die Fortführung der Beweidung bzw. eine Wiederaufnahme der Beweidung auf bereits aus der Nutzung gefallenen Flächen, evtl. verbunden mit vorausgehenden Entbuschungsmaßnahmen.
Ideal ist eine Beweidung in extensiver Hütehaltung mit einer geeigneten Schafrasse außerhalb der Blütezeit von Orchis tridentata, wenngleich auch eine intensivere Schafbeweidung (ausgenommen intensive Koppelhaltung) der Art nicht zu schaden scheint. Selbst wenn die Beweidung dann und wann zur Blütezeit erfolgt, wirkt sich
dies keinesfalls schädlich auf die Pflanze aus, die sich - wie oben skizziert - dann vegetativ vermehrt und im Folgejahr wieder zur Blüte kommt. Gut belegt sind die Auswirkungen einer Wiederbeweidung beispielsweise am in den 1990er Jahren aus der Nutzung gefallenen Südhang des Mühlenberges bei Ottbergen, wo sich deutliche Rückgangstendenzen nach Wiederaufnahme der Schafbeweidung umkehrten und die Art mit Individuenzahlen von aktuell fast 2000 Exemplaren nunmehr eindeutig eine Ausbreitung zeigt (vgl. Abb. 6).
Literatur: Albrecht, J. & U. Letschert (1985): Kalktriften Willebadessen - ein schutzwürdiger Halbtrockenrasen im Oberen Weserbergland. - Ber. Natw. Ver. Bielefeld 27: 27 - 42 Arbeitskreise Heimische Orchideen (Hrsg.) (2005): Die Orchideen Deutschlands. - Uhlstädt-Kirchhasel Baumann, H. (2005): Orchis tridentata Scop. - Dreizähniges Knabenkraut. - In: Arbeitskreise Heimische Orchideen (Hrsg.): Die Orchideen Deutschlands. - Uhlstädt-Kirchhasel Beckhaus, K. (1893): Flora von Westfalen. - Münster Bundesamt für Naturschutz (1996): Rote Liste gefährdeter Pflanzen Deutschlands. Schriftenreihe für Vegetationskunde 28. - Münster-Hiltrup Düll, R. & H. Kutzelnigg (1992): Botanisch-ökologisches Exkursionstaschenbuch. - 4. Aufl., Heidelberg, Wiesbaden Ellenberg, H. (1974): Zeigerwerte der Gefäßpflanzen Mitteleuropas. - Scripta Geobot. 9. Göttingen Häcker, S. (1997): Atlas zur Verbreitung der Farn- und Blütenpflanzen im Kreis Höxter und angrenzenden Gebieten - Ergebnisse der Florakartierung 1980 bis Mai 1997 - Veröff. Naturkd. Ver. Egge-Weser 9: 9-152 |
Hozak, R. & Ch. Meyer (1998): Erfolgskontrolle auf Kalkmagerrasen in Ostwestfalen: Vegetationskundliche, blütenphänologische und faunistische Wiederholungskartierungen auf Probeflächen nach 5 Jahren (Band 1: 2. Bericht) Jüngst, L. (1852): Flora von Westfalen. 2. Aufl. - Münster Jüngst, L. (1869): Flora von Westfalen. 3. Aufl. - Münster Landesanstalt für Bodenordnung und Forsten (Hrsg.) (1999): Rote Liste der gefährdeten Pflanzen und Tiere in Nordrhein-Westfalen, 3. Fassg. - LÖBF-Schr.R. 17 Oberdorfer, E. (1990): Pflanzensoziologische Exkursionsflora. - Stuttgart Projektgruppe Halbtrockenrasen (1993): Pflege und Entwicklung der Kalkmagerrasen als Beitrag zur Kulturlandschaftspflege in Ostwestfalen (Kreise Höxter, Lippe und Paderborn). - Höxter, unveröff. Abschlussbericht Runge, F. (1979): Neue Beiträge zur Flora Westfalens. - Natur und Heimat 39: 69-102 Siebert, H. (1998): Orchis tridentata - Aspekte der Ökologie einer nordhessischen Orchidee - Vortrag auf der 16. AHO-Vorstandstagung am 17. und 18.10.1998 in Eisenach. zit. in: Arbeitskreis Heimische Orchideen (Hrsg.) (2001): Die Orchideen Nordrhein-Westfalens
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