Kalkreiche
Niedermoore
Thomas Schiffgens
Charakterisierung
Die
Standorte der nährstoffarmen kalkreichen Sümpfe und Moore
weisen oberflächennah anstehendes kalkreiches Grundwasser auf.
Bei geringer Sauerstoffversorgung kommt es hier, bedingt durch
schlechtere Humuszersetzung, zur Bildung kalkreicher
Torfablagerungen. Teilweise werden die Standorte jedoch auch von
sauerstoffreichem Quellwasser durchsickert. Hier findet eine
wesentlich stärkere Zersetzung des Humus statt, wodurch keine
Torfablagerungen entstehen und es lediglich zur Bildung von
Kalksümpfen kommt. Diese Kalksümpfe weisen häufig eine
mehr oder weniger ausgeprägte Kalktuffbildung auf.
Bei
Kontakt mit der Luft gibt das hier zutage tretende
kalziumbikarbonatreiche Quellwasser Kohlendioxid ab. Dadurch wird
Kalziumkarbonat frei. Die mit Wasser benetzten Teile der an diesen
Standorten vorkommenden Pflanzen werden mit einer Kalkschicht
überzogen, wodurch Kalktuff gebildet wird.
Nur die
kalkreichen Niedermoore in der subalpinen Stufe der Alpen sind
weitgehend gehölzfrei (GÖRS 1974, in OBERDORFER 1977). In
tieferen Lagen kommen auf diesen Standorten natürlicherweise
Erlenbruchwälder aus dem Verband Alnion glutinosae vor.
Durch
Rodung des Waldes und anschließender jahrhundertelanger
Beweidung oder gelegentlicher Mahd (SUCCOW u. JESCHKE 1986)
entwickelten sich hier Kalkbinsensümpfe und
Kalkkleinseggenriede.
Bedeutung für den
Naturschutz und das europäische Naturerbe
Auf
Grund der speziellen Standortbedingungen sind die kalkreichen
Niedermoore von Natur aus in Nordrhein-Westfalen relativ seltene
Lebensräume (s. Abb. 1) mit meist geringer Ausdehnung.
Gleichzeitig weisen sie eine vergleichsweise hohe Zahl an
Gefäßpflanzenarten und Moosen auf, die an diesen
Lebensraum bzw. wenige ähnliche gebunden sind. Die Anzahl und
Flächengröße der kalkreichen Niedermoore haben zudem
in der Vergangenheit deutlich abgenommen. Auch ihr Erhaltungszustand
hat sich in vielen Fällen deutlich verschlechtert. Gründe
hierfür liegen u. a. in der Grundwasserabsenkung und der
Intensivierung der landwirtschaftlichen Nutzung in Verbindung mit
einer Nährstoffanreicherung.
Aus diesen
Gründen wurden die Lebensräume der kalkreichen Niedermoore
in den Anhang I der FFH-Richtlinie mit der Kennzahl 7230 aufgenommen.
Sie beinhalten definitionsgemäß die kalkreichen
Niedermoore des Caricion davallianae mit meist
niedrigwüchsiger Seggen- und Binsenvegetation und Sumpfmoosen
(Caricetalia davallianae) (BFN 1998). Hierzu gehören der
Davall-Seggenrasen (Caricetum davallianae), die Gesellschaft
der Stumpfblütigen Binse (Juncetum subnodulosi) und die
Kopfbinsenrasen (Orchido-Schoenetum nigricantis).
Die kalkreichen Niedermoore
des europaweiten Schutzgebietsystems NATURA 2000 im Kreis Höxter
Im Kreis
Höxter liegen die kalkreichen Niedermoore innerhalb der
FFH-Gebietsvorschläge „Kiebitzteich“, „Satzer
Moor“ und „Nethe“.
Damit
wurden mit Ausnahme eines sehr kleinen Vorkommens mit schlechtem
Erhaltungszustand in Brakel, Gemarkung Istrup alle kalkreichen
Niedermoore im Kreis Höxter für das Schutzgebietsnetz
Natura 2000 vorgeschlagen.
Kiebitzteich
Das knapp
2 ha große Naturschutzgebiet Kiebitzteich liegt nördlich
von Bad Driburg an der Bahnlinie Altenbeken-Bad Driburg.
Im 19.
Jahrhundert wurde beim Bau der dortigen Eisenbahnstrecken im Bereich
des heutigen Naturschutzgebietes Erdmaterial entnommen (WICHERT mdl.
in SCHIFFGENS 1990). Dadurch wurde das Gelände soweit
eingetieft, daß das dort kalkreiche Grundwasser seitdem bis an
die Erdoberfläche reicht. Es hat sich beim Durchsickern der im
Süden liegenden Muschelkalkkuppe mit Kalziumbikarbonat
angereichert (SCHIFFGENS 1990). So konnte sich im Laufe der Zeit die
dortige Sumpfvegetation entwickeln.
Inzwischen
hat sich der Charakter des Sumpfgebietes stark verändert.
Handelte es sich im Jahre 1948 noch um ein nur von wenigen Gehölzen
bestandenes Kleinseggenried, in dem das Breitblättrige Wollgras
aspektbildend vorkam (KOPPE 1948), so haben sich im Laufe der Zeit
sowohl das Schilf als auch Gehölze, insbesondere Grauweide und
Zitterpappel, immer mehr im Gebiet ausgebreitet. Die typische
Vegetation der kalkreichen Niedermoore, in diesem Fall der
Davall-Seggenrasen (Caricetum davallianae), erstreckt sich
dadurch heute nur noch auf etwa 0,3 ha (SCHIFFGENS 1990).
Trotzdem
kommen immer noch mehr als 10 Gefäßpflanzenarten der Roten
Liste, darunter die für die kalkreichen Niedermoore besonders
typischen Arten Sumpf-Stendelwurz (Epipactis palustris),
Breitblättriges Wollgras (Eriophorum latifolium),
Hirse-Segge (Carex panicea) und Wenigblütige Sumpfsimse
(Eleocharis quinqueflora), vor. Auch die vorhandenen Moose
verdeutlichen mit mindestens 6 gefährdeten bzw. vom Aussterben
bedrohten Arten die Bedeutung des Gebietes.
Hier sind
z. B. zu nennen: Drepanocladus revolvens, Palustriella
commutata, Philonotis calcarea, Fissidens adianthoides
und Sphagnum squarrosum (SCHIFFGENS 1990 u. LÖBF 2000)
Leider
konnte eine zur dauerhaften Erhaltung und Optimierung notwendige
gründliche Entbuschung mit anschließender jährlicher
Pflegemahd im Spätsommer bisher nicht durchgeführt werden.
Lediglich Ende der 80er Jahre und 1994 wurden einmalige
Pflegemaßnahmen durchgeführt.
Satzer Moor
Das ca. 12
ha große Satzer Moor liegt östlich von Bad Driburg an der
B64. Es ist bisher nicht als Naturschutzgebiet ausgewiesen.
Im Satzer
Moor wurde Torf für Kurmittelzwecke des Bades Driburg gewonnen
und der verbrauchte Torf anschließend dort wieder abgelagert
(SCHULZ u. KOENEN 1912, KOPPE 1935, RUNGE 1960). Diese Nutzung ist
seit 1988 eingestellt.
Große
Bereiche haben sich in den letzten Jahrzehnten zu Schilfröhrichten
und Weidengebüschen, bzw. Weidenauwald entwickelt. Das Gebiet
wird von der Aa durchflossen, die in diesem Abschnitt unverbaut ist
und eine typische Fließgewässerstruktur und -vegetation
aufweist.
An zwei
Stellen nördlich und südlich der Aa tritt anscheinend aus
den südlich angrenzenden Muschelkalkhängen zufließendes,
kalkreiches Grundwasser zu Tage, so daß sich hier
Kalk-Kleinseggenriede, die wie im NSG Kiebitzteich zum
Davall-Seggenrasen (Caricetum davallianae) gehören,
entwickeln konnten. 1990 (SCHIFFGENS) nahmen diese noch eine Fläche
von insgesamt ca. 700 m2 ein. Auf der nördlichen
Fläche ist die typische Sumpfvegetation inzwischen durch Schilf
und Grauweiden verdrängt worden. Die Erhaltung des südlichen
Seggenriedes konnte jedoch durch Beseitigung eingewanderter
Grauweiden sowie mehrmaliger Pflegemahd durch die Landschaftsstation
Diemel-Weser-Egge in den vergangenen Jahren gesichert werden.
Trotz der
winzigen Flächengröße weist auch dieses Niedermoor
eine erstaunliche Zahl typischer Pflanzenarten auf. Hier sind
insbesondere Sumpf-Stendelwurz (Epipactis palustris),
Breitblättriges Wollgras (Eriophorum latifolium),
Schuppenfrüchtige Gelb-Segge (Carex lepidocarpa) und
Floh-Segge (Carex pulicaris) sowie die Moose Philonotis
calcarea, Scorpidium scorpioides und Sphagnum
capillifolium zu nennen.
Während
die Aa, die Weidengebüsche und -wälder sowie die
Schilfröhrichte auch zukünftig der natürlichen
Entwicklung überlassen werden sollten, ist es zur Erhaltung des
Kalk-Kleinseggenriedes notwendig, die Einwanderung von Schilf und
Grauweiden weiterhin durch eine kontinuierliche Pflegemahd zu
verhindern.
Nethe
Im Bereich
des FFH-Gebietsvorschlages Nethe kommt der Lebensraumtyp „kalkreiches
Niedermoor“ nur im Naturschutzgebiet Reitwiesen vor. Das hier
flächig an die Erdoberfläche tretende Grundwasser hat sich
wahrscheinlich in einer kalkhaltigen Schicht des mittleren Keuper mit
Kalziumbikarbonat angereichert.
Das
heutige Naturschutzgebiet ist Teil einer ehemaligen ca. 140 ha großen
Huteweide. Hirten der Stadt Willebadessen hüteten hier zeitweise
ca. 500 Stück Vieh. Bis etwa 1970 wurden die Reitwiesen noch von
Kühen beweidet (MÜLLER, H. u. DIEKMANN mdl. in SCHIFFGENS
1990)
1922 wurde
in den Reitwiesen Torf abgebaut, um ihn als Brennmaterial ins
Ruhrgebiet zu transportieren (DIECKMANN mdl. in SCHIFFGENS 1990). Bis
zur Unterschutzstellung des Gebietes 1987 stachen die Willebadessener
Bürger öfter kleinere Mengen Torf für ihren Garten.
Die Torfmächtigkeit im Gebiet beträgt aufgrund
unterschiedlicher Abbaustärken zwischen 30 und 60 cm.
Die
Reitwiesen weisen mit ca. 0,8 ha das größte kalkreiche
Niedermoor im Kreis Höxter auf, das sich zudem in einem sehr
guten Erhaltungszustand befindet. Anders als im Naturschutzgebiet
Kiebitzteich und im Satzer Moor handelt es sich hier jedoch nicht um
ein Kleinseggenried sondern um einen Kalkbinsensumpf mit der
Gesellschaft der Stumpfblütigen Binse (Juncetum subnodulosi).
Die namengebende Art Stumpfblütige Binse (Juncus
subnodulosus) ist hier aspektbildend. Wie in allen kalkreichen
Niedermooren des Kreises Höxter kommen auch hier
Sumpf-Stendelwurz (Epipactis palustris) und Hirse-Segge (Carex
panicea) vor. Weitere bemerkenswerte Pflanzenarten sind
Schuppenfrüchtige Gelb-Segge (Carex lepidocarpa),
Fleischfarbenes Knabenkraut (Dactylorhiza incarnata) und
Schmalblättriges Wollgras (Eriophorum angustifolium)
sowie die Moose Campylium stellatum, Fissidens
adianthoides, Sphagnum teres und Tomenthypnum nitens
(LÖBF 1999).
In der
Vergangenheit wurde in den Reitwiesen jährlich im Spätsommer
eine Pflegemahd auf ehrenamtlicher Basis durch die
Auslandsgesellschaft NRW eV. im Auftrag des Kreises Höxter
durchgeführt. Dadurch konnte sowohl die Streuauflage minimiert
werden als auch das Eindringen von Schilf in den Binsensumpf gestoppt
werden. Zukünftig wird diese Aufgabe durch die
Landschaftsstation Diemel-Weser-Egge übernommen.
Weiter
oberhalb in einem Seitentälchen des FFH-Gebietsvorschlages Nethe
liegt ein sehr kleines Sumpfgebiet, das SCHIFFGENS 1990 noch als
Caricetum davallianae ansprechen konnte. Bei den Kartierungen
im Rahmen der Erstellung der FFH-Kulisse konnte eine Zuordnung zum
Lebensraumtyp „kalkreiches Niedermoor“ jedoch aufgrund
mehrerer nicht mehr nachgewiesener Arten nicht mehr erfolgen. Gründe
hierfür liegen wahrscheinlich in der inzwischen zulange
andauernden Bracheperiode. Pflegemaßnahmen wurden hier nicht
durchgeführt. Eventuell hat auch die Einschwemmung von
Nährstoffen aus den angrenzenden landwirtschaftlichen
Nutzflächen zum Artenrückgang beigetragen.
Damit sich
die typischen Arten des Kalk-Kleinseggenriedes hier wieder etablieren
können, ist die kurzfristige Aufnahme einer jährlichen Mahd
im Spätsommer notwendig.
Literatur
BUNDESAMT FÜR
NATURSCHUTZ (1998): Das europäische Schutzgebietssystem NATURA
2000, BfN-Handbuch zur Umsetzung der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie
und der Vogelschutzricht-Richtlinie. Schriftenreihe für
Landschaftspflege und Naturschutz, Heft 53. – Bonn-Bad
Godesberg. (S. 560).
GÖHRS,
S. (1974): Tofieldietalia Prsg. apud Oberd. 49 (Caricetalia
davallianae Br. – Bl. 49). – In: OBERDORFER, E. (Hrsg.):
Süddeutsche Pflanzengesellschaften. Teil I. 1977. (311 S.)
KOPPE, F.
(1935): Das Moor bei der Saatzer Mühle, ein schwer bedrohtes
Naturdenkmal. – Natur + Heimat, Heft 1, S. 3 – 5.
Münster.
KOPPE, F.
(1948): Botanisches Gutachten zum Quellsumpf 260, westlich Reelsen. –
(unveröff.)
LÖBF
(1999): Pflege- und Entwicklungsplan NSG Reitwiesen. (28 S.)
Recklinghausen. (unveröff.)
LÖBF
(2000): unveröffentlichte Daten der LÖBF
OBERDORFER,
E. (Hrsg.) (1977): Süddeutsche Pflanzengesellschaften. Teil I.
2. Aufl. – Stuttgart, New York: G. Fischer (311 S.)
RUNGE, F.
(1960): Änderung der Vegetation im Moor an der ehemaligen Satzer
Mühle im Laufe der letzten 170 Jahre. – In: Natur + Heimat
20: 120 – 123. Münster.
SCHIFFGENS,
T. (1990): Schutz-, Entwicklungs- und Pflegekonzept für
Kalkflachmoore und –sümpfe im Kreis Höxter auf der
Grundlage vegetationskundlicher Untersuchungen. – Diplomarbeit
(Unveröff.)
SCHULZ, A. &
KOENEN, O. (1912): 40. Jahresbericht des Westfälischen
Provinzial-Vereins für Wissenschaft und Kunst. (S. 200 ff.).
SUCCOW, M. &
JESCHKE, L. (1986): Moore in der Landschaft. – Thun: Verlag
Harri Deutsch (268 S.).
Anschrift
des Autors:
Thomas Schiffgens, Landesanstalt für
Ökologie, Bodenordnung und Forsten NRW (LÖBF),
Dezernat 34, Castroper Str. 30, 45665 Recklinghausen
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