Fließgewässer mit submerser
Vegetation der Fluthahnenfuß-Fließwasserrasen (Ranunculion fluitantis) Frank Grawe |
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EGGE-WESER | Band 15 | Seiten 17-26 | 2002 |
Fließgewässer
mit submerser Vegetation der Frank Grawe Als „Lebensadern“ unserer Landschaft sind Fließgewässer mit submerser Vegetation des Ranunculion fluitantis nach dem Europäischen Schutzgebietssystem NATURA 2000 als Lebensräume von gemeinschaftlichem Interesse geschützt. Gleiches gilt für die sie begleitenden Feuchten Hochstaudensäume, Erlen-, Eschen- und Weichholzauenwälder. Die folgenden Seiten widmen sich – unter Einbeziehung der gewässerbegleitenden und mit dem Gewässer in vielfältigen Wechselwirkungen stehenden Aue – der Ökologie, der aktuellen Situation und den Möglichkeiten zum Erhalt dieser einzigartigen und gleichermaßen gefährdeten Systeme. Abschließend werden die entsprechenden Gewässer des Kreises Höxter kurz vorgestellt. 1 Charakterisierung und Zonierung der FließgewässerabschnitteAlle Fließgewässer weisen von der Quelle bis zur Mündung eine typische Längszonierung in Quellauf (Krenal), Ober- und Mittellauf (Rhitral) und Unterlauf (Potamal) auf. 1.1 KrenalDer Quellauf zeichnet sich durch auf kleinstem Raum wechselnde Fließgeschwindigkeit, im Tages- wie auch Jahresverlauf nur wenig schwankende Wassertemperatur, eine hohe Sauerstoffsättigung und einen geringen Nährstoffgehalt aus (Brehm & Meijering 1982). Im Gewässer gedeihen allenfalls Moose. Gefäßpflanzen können sich aufgrund der hohen Strömungsgeschwindigkeit und der starken Beschattung nicht etablieren. Das Gewässer verläuft innerhalb eines schmalen Kerbtales, da die Erosion stärker ist als die Sedimentation. Der Einfluß des Gewässers auf seine Umgebung ist gering, eine Aue ist noch nicht ausgebildet. An den Ufern finden sich einzelne Erlen oder Eschen, ansonsten durchfließt das Gewässer bei uns den zonalen Buchenwald. 1.2 RhitralIn der nur in Ansätzen vorhandenen oder zumindest noch schmalen Aue der kalkführenden Bäche der Region stocken im nächsten Abschnitt des Gewässers, dem Oberlauf, auf Böden mit hoch anstehendem Grundwasser und sporadischer Überflutung Bach-Eschenwälder (Carici remotae-Fraxinetum (W. Koch 1926 ex Faber 1936)) mit Schwarz-Erle (Alnus glutinosa), Gewöhnlicher Esche (Fraxinus excelsior) und Berg-Ahorn (Acer pseudoplatanus) in der Baumschicht (Pott 1995). Leitfisch dieses Gewässerabschnittes ist die Bachforelle (Salmo trutta f. fario) weitere typische Fische sind die Groppe (Cottus gobio), der Gründling (Gobio gobio) oder das urtümliche, kieferlose Bachneunauge (Lampetra planeri). Im Gewässer sind Gefäßpflanzen auch hier noch selten. Mit zunehmender Wasserführung und abnehmendem Gefälle vergleichmäßigt sich die Fließgeschwindigkeit dem Mittellauf zu. Durch die Kraft der fließenden Welle werden bei Hochwasser immer wieder Lücken in die Ufergehölze gerissen, durch die die sonst nahezu durchgehende Beschattung des Gewässers unterbrochen wird. Bei gegenüber dem Quellauf gleichmäßigerer Strömung können sich Unterwasserpflanzen ansiedeln. Sie finden in den kalkreichen Ober- und Mittelläufen der heimischen Flüsse ideale Bedingungen: Die Strömungsgeschwindigkeit ist nicht mehr dem starken Wechsel des Quellaufes unterworfen, Wassertiefe und Schwebstofffracht sind noch gering, die Belichtung des Gewässergrundes damit hoch. Typisch im Kreis Höxter sind submerse Gesellschaften der Fluthahnenfuß-Fließwasserrasen (Ranunculion fluitantis (Neuhäusl 1959)), namentlich die Hahnenfuß-Berle-Gesellschaft (Ranunculo trichophylli-Sietum submersi (Th. Müller 1962)) mit dem Haarblättrigen Wasser-Hahnenfuß (Ranunculus trichophyllus) mit seinen feinen Blättern als Anpassung an die Strömung, weiterhin mit Berle (Berula erecta), Brunnenkresse (Nasturtium officinale agg.), Bach-Bunge (Veronica beccabunga) und Wasser-Ehrenpreis (Veronica anagallis-aquatica s.str.). Die eigentliche Fluthahnenfuß-Gesellschaft (Ranunculetum fluitantis s.l. (W. Koch 1926)) mit den meterlangen, gänzlich submersen Sprossen des Flutenden Hahnenfußes (Ranunculus fluitans) gedeiht dagegen lediglich an der südlichen Kreisgrenze in der Diemel. 1.3 PotamalKennzeichnend für die vergleichsweise nährstoffreichen, langsamfließenden Unterläufe mit gleitender Strömung, wie sie in den kleineren Flüssen des Kreisgebietes natürlicherweise nur in Ansätzen vorkommen, ist eine üppige Unterwasservegetation. Bei uns ist in diesen Bereichen die Gesellschaft des Kamm-Laichkrautes (Potamogetonetum pectinati (W. Koch 1926)) typisch. Sie wird aus dem namengebenden Kamm-Laichkraut (Potamogeton pectinatus), dem Durchwachsenen Laichkraut (Potamogeton perfoliatus), dem Krausen Laichkraut (Potamogeton crispus) sowie dem Einfachen Igelkolben (Sparganium emersum f. fluitans) (Pott 1995) gebildet. Dem Unterlauf zu hat sich das Gewässer durch vorherrschende Breitenerosion eine fortwährende Verlegung seines gewundenen Laufes und die Sedimentation von mitgeführten Schwebstoffen eine Aue geschaffen, die zur Mündung hin immer breiter wird. Den nunmehr lediglich am Rande der Aue stockenden Bach-Eschenwäldern gewässerwärts vorgelagert gedeiht der Silberweiden-Auenwald (Salicetum albae (Issler 1926)) mit Silber-Weide (Salix alba) und Bruch-Weide (Salix fragilis agg.). Wiederum gewässerseitig reichen auf Kies- und Schotterbänken die Korbweiden-Mandelweidengebüsche (Salicetum triandro-viminalis (Malcuit 1929)) mit Gebüschweiden wie Korb-Weide (Salix viminalis), Purpur-Weide (Salix purpurea) oder Mandel-Weide (Salix triandra) bis an das Ufer. Diese instabilen Gebüsch- bzw. Mantelgesellschaften befinden sich in mosaikartiger, enger Verzahnung mit Rohrglanzgrasröhrichten (Phalaridetum arundinaceae (Libbert 1931)) und den Pestwurzfluren (Petasitetum hybridi (Schwickerath 1933)) (Oberdorfer 1992). Naturnahe, unverbaute Bereiche der Mittel- und Unterläufe zeichnen sich durch einen gewundenen Lauf aus, der durch die Dynamik des fließenden Wassers geprägt ist. Auf kleinem Raum wechseln sich starke und geringe Strömung ab, in Ufernähe finden sich Kolke und Kehrwasser. In Bereichen geringer Strömung haben sich Schlick-, Sand- und Kiesbänke gebildet. Im Bereich von Prallufern finden sich Uferabbrüche. Dort, wo bereits mehrere kräftige Hochwasser am Ufer genagt haben, werden Schlingen vom Hauptstrom abgeschnürt, was die Bildung von Altwassern zur Folge hat. Durch die hohe Dynamik wird das Gewässer stetig umgestaltet. Wo ein vorangegangenes Hochwasser die Ufergehölze weggerissen hat, ist der Lichteinfall im Gewässerbett ausreichend für die Ansiedelung von Unterwasserpflanzen oder – in strömungsarmen Bereichen – auch für Schwimmblattpflanzen. Die Uferabbrüche der Prallufer werden von Uferschwalbe (Riparia riparia) und Eisvogel (Alcedo atthis) genutzt, die hier ihre Bruthöhlen anlegen. Naturnahe Auen weisen in Form von Altarmen, Altwässern, Flutmulden (ehemalige, nur noch temporär wasserbespannte und meist weitgehend nivellierte Altarme ohne Mittelwasseranschluß), vom Gewässer aufgetragenen erhöhten und damit trockeneren Bereichen sog. Rehnen (am Ufer) und Brennen (in der Aue) und vegetationsfreien Kies- und Schotterflächen ein kleinräumig wechselndes Mosaik zahlreicher Habitate auf, welche kurzfristigen, spontanen Änderungen unterworfen sind. Im naturnahen Gewässer unterliegt die Vegetation über das Querprofil des Gewässers und seine Aue hinweg einer Zonierung, entsprechend der Überflutungsdauer und den hierbei auftretenden Kräften (vgl. Pott 1996): Direkt am Ufer gedeihen im Bereich frischer Uferanrisse und auf Schlammbänken therophytenreiche Zweizahn-Knöterich-Ufergesellschaften des Bidention tripartitae (Nordhagen 1940) oder Flußmeldenfluren des Chenopodion rubri (Tüxen 1960). In einem schmalen Saum entlang der Mittelwasserlinie sowie innerhalb kleiner Lichtungen, die von der Welle des Hochwassers aufgerissen wurden, gedeihen hochwüchsige Röhrichte wie das Rohrglanzgras-Röhricht mit dem namengebenden Rohr-Glanzgras (Phalaris arundinacea) als aspektbildende Art oder feuchte Hochstaudenfluren wie die Rübenkälberkropf-Gesellschaft (Chaerophylletum bulbosi (Tüxen 1937)) mit dem Rüben-Kälberkropf (Chaerophyllum bulbosum) und weiteren Arten wie Große Brennessel (Urtica dioica), Kletten-Labkraut (Galium aparine) oder Zaun-Giersch (Aegopodium podagraria). Im Überflutungsbereich des Gewässers vom Ufer bis etwa 1 - 2 m oberhalb der Mittelwasserlinie (Runge 1994), der typischerweise um die 100 Tage (Bohn 1996, Späth 1988) überfluteten Weichholzaue, gedeihen in einem abwechslungsreich gegliederten Übergangsbereich zwischen Wasser und Land schnellwachsende Gehölze wie Schwarz-Erlen, Eschen und Weiden. Letztere dominieren insbesondere die breiteren Auen der unteren Unterläufe. Werden Weiden durch die Kraft der Strömung entwurzelt und weggerissen, schlagen sie an anderer Stelle als angeschwemmte „Weidenstecklinge“ besonders schnell wieder aus und sind in Bereichen hoher Gewässerdynamik anderen Gehölzen daher überlegen. Typische Pflanzengesellschaft ist in den Kalkgebieten, wie oben erwähnt, der Silberweiden-Auenwald (Salicetum albae (Issler 1926)). In nur noch episodisch überfluteten, gewässerferneren Bereichen, der Hartholzaue, können sich Pflanzengesellschaften mit großkronigen, langsamer wachsenden Schattholzarten wie Linden, Flatter- und Feld-Ulmen, Hainbuchen oder Eichen in der Baumschicht etablieren (Alno-Ulmion (Br.-Bl. et R. Tx. 1943)), im Bereich besonders hoch anstehenden Grundwassers auch Erlen-Bruchwälder der Alnetea glutinosae (Br.-Bl. et Tx. 1943).
2 Nutzung und Beeinträchtigung der Gewässer und ihrer AuenDie großflächigen Waldrodungen in den Einzugsgebieten der Flüsse seit dem ausgehenden Mittelalter führten dazu, daß nach und nach große Bodenmengen von den geneigten Flächen des Einzugsgebietes abgespült wurden. Sie lagerten sich entweder an den Hangfüßen am Rande der Aue ab oder aber wurden vom Gewässer als Schwebstoffe transportiert und bei nachlassender Fließgeschwindigkeit in der gesamten Aue als dicke Decken überaus fruchtbaren Auenlehms sedimentiert. Bereits vor Jahrhunderten wurden daher die Auenwälder unserer Region zum größten Teil gerodet und in Grünland und Ackerland umgewandelt. Im Kreis Höxter sind die Wälder der Hartholzaue dabei vollständig vernichtet worden. Die nach Hochwasser erkennbaren ehemaligen Flußschlingen lassen die Ausdehnung der früheren Hartholzaue auch heute noch erahnen. Flutmulden und Altarme wurden im Rahmen von Meliorationsmaßnahmen verfüllt, erhöhte Bereiche abgetragen. Insbesondere die seit der Flurbereinigung erfolgende großparzellige Nutzung hat zu einer weiteren deutlichen Verarmung der Aue geführt. Durch ab dem 19. Jh. angelegte Drainagesysteme wurde die Aue trockengelegt und fast durchgängig als Acker nutzbar gemacht. Das verbliebene Grünland wird heute intensiv gedüngt und mehrschürig genutzt, relativ strukturarme Mähweiden herrschen vor. Dort, wo das Grünland nur extensiv genutzt wird, finden sich kleinflächig als Ersatzgesellschaften der Auenwälder (Oberdorfer 1992) die Feuchtwiesen des Calthion-Verbandes, die Sumpfdotterblumen-Wiesen, bei uns meist in Form der Kohldistel-Wiese (Angelico-Cirsietum oleracei (Tüxen 1937)) kleinflächig auch der Wiesenknopf-Wiesensilau-Wiese (Sanguisorbo-Silaetum pratensis (Klapp 1954)). Nach der Rodung der Ufergehölze veränderte sich durch die fehlende Beschattung der Licht- und der Temperaturhaushalt, verbunden mit einer starken Zunahme der Phytomasse im Gewässer sowie einer Verringerung der Sauerstoffsättigung durch die starke Erwärmung. Hierdurch wird zahlreichen Organismen mit engen Lebensraumansprüchen die Lebensgrundlage entzogen. Durch die bereits seit dem 19. Jh. erfolgte Begradigung (vgl. Königlich-Preußische Kartenaufnahme - Uraufnahme - 1836 bzw. Königlich-preußische Landesaufnahme 1898) und die damit verbundene stärkere Tiefenerosion haben sich die Gewässer stark eingetieft und überfluten ihre Aue nur noch selten. Eine natürliche Auendynamik ist nicht mehr gegeben; das Gewässer wurde von seiner Aue nahezu abgetrennt. Durch das sich absenkende Grundwasserniveau sind auch den letzten Relikten der Auenwälder häufig die Lebensgrundlage entzogen worden. Die Uferstaudensäume werden neben der erwähnten Nutzung bis an das Gewässerufer vor allem durch eine Überprägung durch nicht einheimische, sich aggressiv ausbreitende Arten wie das Drüsige Springkraut (Impatiens glandulifera) oder den Riesen-Bärenklau (Heracleum mantegazzianum) beeinträchtigt. Aus der intensiven Nutzung der Aue ergeben sich weitere starke Beeinträchtigungen für das Gewässer: So werden Nährstoffe in das Gewässer gespült und gelangen Pflanzenschutzmittel aus der Landwirtschaft oder Abwässer aus Kläranlagen in das Wasser. In den letzten Jahrzehnten haben sich dadurch in den heimischen Gewässern die Lebensbedingungen insbesondere für abwassertolerante Unterwasserpflanzenbestände deutlich verbessert: Sie profitieren vom verstärkten Nährstoffeintrag in das Gewässer und finden aufgrund der stärkeren Besonnung nach der Vernichtung der beschattenden Auenwälder bessere Wuchsbedingungen. Auch konnten sie sich durch die verringerte Fließgeschwindigkeit in den Staubereichen von Wehren ausbreiten. Weiterhin werden Gewässerstrukturen wie Treibgut und Sturzbäume im Rahmen der Gewässerunterhaltung (Sicherstellung der Vorflut) regelmäßig entfernt. Schließlich werden die Gewässer fischereilich bewirtschaftet und beangelt. Wesentliche Beeinträchtigungen ergeben sich durch in das Gewässer eingebrachte Querbauwerke wie Wehre, Sohlabstürze, steile Sohlgleiten etc. einschließlich ihrer Staubereiche: Sie stellen für Fische sowie für Wirbellose des Gewässergrundes ein Wanderhindernis dar und führen zur Verinselung der Populationen. Demgegenüber stellt die deutliche Verbesserung der biologischen Gewässergüte durch die in den letzten Jahren erfolgte Modernisierung der Kläranlagen bzw. den Anschluß nahezu aller Haushalte an eine Kläranlage (Länderarbeitsgemeinschaft Wasser 2000) einen Lichtblick dar. 3 Bedeutung für den NaturschutzVon der Makrophytenflora Deutschlands kommen knapp 1000 Arten in oder an Fließgewässern vor (Brehm & Meijering 1982). Der größte Teil der Arten (ca. 970) ist dabei allerdings nicht ausschließlich auf Fließgewässer beschränkt sondern findet sich auch in anderen, in unserer Kulturlandschaft teilweise stark verinselten wassergeprägten Systemen (ebenda). Hierdurch wird die wesentliche Funktion der Fließgewässer für den Biotopverbund deutlich. Bezüglich der Fauna ergibt sich ein anderes Bild: Brehm & Meijering (1982) ermittelten 5895 an Fließgewässern vorkommende mehrzellige Tierarten, von denen 3105 - unter ihnen 2393 Insektenarten - ausschließlich an Fließgewässern vorkommen. Die Fließgewässer der BRD haben zusammen eine Länge von rund 1.000.000 Kilometern; naturnah strukturierte Biotopkomplexe findet man allenfalls noch auf 10 % davon (Zucchi 1988). Sie sind weitgehend auf die Oberläufe beschränkt. Landesweit geben Verbücheln et al. (1995) für die typischen Pflanzengesellschaften der Bach- und Flußbiotopkomplexe folgende Gefährdungskategorien an:
Auch bundesweit sind gemäß der Roten Liste der gefährdeten Biotoptypen in der BRD (Riecken, Rieß & Ssymank 1994) sämtliche naturnahen Abschnitte fließender Gewässer vom Quell- bis zum Unterlauf durch direkten Flächenverlust gefährdet und durch schleichende Degradierung von der Vernichtung bedroht oder aber zumindest stark gefährdet. 4 Schutz der FließgewässerAngesichts dieser erschreckenden Bilanz hat insbesondere in den letzten beiden Jahrzehnten ein Umdenken stattgefunden: Nicht mehr allein die technischen Funktionen eines Fließgewässers – z.B. als Vorfluter oder als „Transportsystem“ für Abwässer – stehen im Vordergrund, sondern auch mehr und mehr seine ökologischen Funktionen als
Fließgewässer und ihre Auen werden in zunehmendem Maße als Landschaftselement und Lebensgemeinschaft begriffen. Dem hat auch der Gesetzgeber Rechnung getragen: Natürliche oder naturnahe unverbaute Bereiche fließender Gewässer sind einschließlich ihrer Ufer und der dazugehörigen uferbegleitenden natürlichen oder naturnahen Vegetation sowie ihrer natürlichen oder naturnahen Verlandungsbereiche und regelmäßig überschwemmten Bereiche sowie Auenwälder und die mit ihnen in Kontakt stehenden Röhrichte nach § 62 LG landesweit geschützt (LÖBF 2001). Darüber hinaus hat die Situation der Fließgewässer ihren Niederschlag auch im Europäischen Schutzgebietssystem NATURA 2000 gefunden: Gemäß NATURA 2000 wurden folgende in der heimischen Region vorkommende Biotoptypen als Lebensraumtypen von Gemeinschaftlichem Interesse gemäß EG-Richtlinie über die Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen („FFH-Richtlinie“) eingestuft (vgl. Ssymank et al. 1998):
Bezüglich der Kriterien für die Ausweisung eines Fließgewässers als FFH-Gebiet kritisch zu bewerten ist allerdings die Tatsache, daß die Einstufung als Lebensraumtyp von gemeinschaftlichem Interesse an das Vorkommen einer Unterwasservegetation gebunden ist. Naturnahe Fließgewässer mit dem Charakter eines Oberlaufes (vgl. 1.1 u. 1.2) beispielsweise können daher trotz höchster naturschutzfachlicher Wertigkeit und Gefährdung kein FFH-Gebiet werden. In mittleren und größeren Gewässern wird durch chemisch-physikalische Untersuchungen sowie über die Erfassung von die Gewässersohle bewohnenden Indikatorarten in regelmäßigen Abständen die Belastung des Gewässers mit abbaubaren Stoffen überprüft und diese in der amtlichen Gewässergütekarte dokumentiert. Seit einigen Jahren werden darüber hinaus auch strukturelle Defizite im Rahmen der Gewässerstrukturgütekartierung aufgezeigt. Die genannten Erhebungen stellen einen ersten wichtigen Schritt in Richtung auf eine Verbesserung der Situation dar. Aufgrund der hohen Wertigkeit, der Seltenheit und der starken Gefährdung der Fließgewässerbiotope ist der Erhalt der letzten verbliebenen naturnahen Fließgewässer sowie die Renaturierung ausgebauter und begradigter Gewässer vordringliche Aufgabe des Naturschutzes. Aktueller denn je ist dabei der Gesichtspunkt des Hochwasserschutzes: Nur dort, wo ein Bach oder ein Fluß auch über seine Ufer treten kann, besteht ein wirksames Rückhaltevermögen. Die für den siedelnden Menschen nahezu folgenlose natürliche Überflutung der Bachauen und der Auen kleinerer Flüsse hilft Katastrophenhochwässer an den viele Kilometer gewässerabwärts befindlichen Strömen zu vermeiden. 5 Maßnahmen zum ErhaltNotwendige Maßnahmen zum Erhalt bzw. zur Entwicklung naturnaher Fließgewässer sind
Die beiden letztgenannten Punkte sind die Ziele des in NRW seit 1990 auch an der Nethe durchgeführten „Gewässerauenprogrammes“, welches seit 2000 in der aktuellen „Rahmenrichtlinie Vertragsnaturschutz“ aufgegangen ist. Über die Einstufung der Fließgewässerlebensräume als geschützte Biotope, die Sicherstellung besonders wertvoller Abschnitte als Naturschutzgebiete oder die mit einem Verschlechterungsverbot verknüpfte Ausweisung von FFH-Gebieten kann ein wirksamer Beitrag zum Erhalt und zur Entwicklung des Lebensraumes Fließgewässer geleistet werden. 6 FFH-relevante Fließgewässer im Kreis HöxterIm Kreis Höxter befinden sich neben einigen weiteren naturnahen Fließgewässern ohne Schutzgebietsausweisung auch insgesamt vier FFH-Gebiete, in denen der Lebensraumtyp „Fließgewässer mit submerser Vegetation des Ranunculion fluitantis“ (LRT 3260) vorkommt. In den beiden – im folgenden kurz vorgestellten – Gebieten
leitet sich die Ausweisung wesentlich aus dem Vorkommen dieses Lebensraumtyps ab. Ausschlaggebend für die Ausweisung des an einem naturnahen Abschnitt des Aabaches gelegenen FFH-Gebietes Satzer Moor (DE-4220-301) und des vom naturnahen Schwarzbach durchflossenen FFH-Gebietes Schwarzbachtal (DE-4419-301) sind dagegen in erster Linie das Vorkommen von Kalkreichem Niedermoor (LRT 7230) (vgl. Schiffgens in diesem Heft) bzw. Bachbegleitendem Erlen-Auenwald (LRT 91E0). 6.1 Emmeroberlauf und Beberbach (DE-4120-301)Sowohl die oberhalb von Steinheim gelegenen Abschnitte der Emmer als auch die des der Emmer zufließenden Beberbaches unterhalb von Entrup stellen relativ naturnahe Gewässer dar, an denen neben dem Lebensraumtyp „Fließgewässer mit submerser Vegetation des Ranunculion fluitantis“ (LRT 3260) auch gewässerbegleitende „Feuchte Hochstaudensäume“ (LRT 6430) gedeihen. In den beiden Gewässern fluten stellenweise üppige Bestände einer Unterwasservegetation regionaltypischer Ausprägung mit Haarblättrigem Wasser-Hahnenfuß (Ranunculus trichophyllus), Sumpf-Wasserstern Sa. (Callitriche palustris agg.) und verschiedenen Laichkräutern, ferner findet man eine typische und artenreiche Fischgemeinschaft mit mehreren gefährdeten Arten, unter anderem mit Bachneunauge (Lampetra planeri) und Groppe (Cottus gobio) als FFH-Arten. Beide Gewässer werden zumeist von Ufergehölzen gesäumt, die allerdings nur lokal eine flächige Ausdehnung besitzen und nicht als Lebensraumtyp 91E0 im Sinne der FFH-Richtlinie zu fassen sind. An der Beber entspringt weiterhin eine Kalktuffquelle, unterhalb derer sich eine mächtige Kalksinterkuppe gebildet hat (LRT 7220). Die relativ breite Talaue des Beberbaches ist überwiegend als Grünland genutzt; lokal finden sich Feuchtwiesen und kleine Seggenriede. In der Emmeraue finden sich über weite Bereiche hinweg größere Ackerschläge, die vom Gewässer allerdings meist durch einen 10 m breiten ungenutzten Uferrandstreifen getrennt sind. Die Vogelgemeinschaften der Gewässer weisen das charakteristische Arteninventar auf. Als bedrohte Art gemäß der EG-Richtlinie zur Erhaltung der wildlebenden Vogelarten („EG-Vogelschutzrichtlinie“) kommt der Eisvogel (Alcedo atthis) vor. Weitere wertbestimmende Arten sind Gebirgsstelze (Motacilla cinerea), Wasseramsel (Cinclus cinclus) sowie als Rastvögel Bruch- und Waldwasserläufer (Tringa glareola et T. ochropus). Darüber hinaus finden sich zahlreiche weitere gefährdete Arten, so z.B. die Gebänderte Prachtlibelle (Calopteryx splendens) und die Blauflügelige Prachtlibelle (Calopteryx virgo) (Häcker mündl.). Landesweite Bedeutung haben beide Gewässer als Ausbreitungskorridor für Arten der Fließgewässer und der Auen insbesondere die Beber dient als Ausbreitungskorridor für den in den Nieheimer Tongruben ansässigen Laubfrosch (Hyla arborea). Entwicklungsziele für das insgesamt 138 ha große FFH-Gebiet sind die Wiederherstellung der Durchgängigkeit des Fließgewässers im Gewässerbett und an den Ufern, die Regeneration von Auenwald bzw. die Anlage eines Ufergehölzsaumes sowie die Extensivierung der Nutzung in den Auen. 6.2 Nethe (DE-4320-305)Die Nethe durchquert in west-östlicher Richtung nahezu den gesamten Kreis Höxter. Sie verläuft überwiegend naturnah in einem weitgehend unverbauten Gerinne, ist aber auf weiten Fließstrecken tief eingeschnitten. In vielen, allerdings meist kurzen Abschnitten der Nethe und der von ihr abzweigenden Mühlgräben fluten z.T. üppige Bestände von Haarblättrigem Wasser-Hahnenfuß (Ranunculus trichophyllus), Sumpf-Teichfaden (Zannichellia palustris), Durchwachsenem Laichkraut (Potamogeton perfoliatus), Krausem Laichkraut (Potamogeton crispus), Zwerg-Laichkraut Sa. (Potamogeton pusillus agg.), Kamm-Laichkraut (Potamogeton pectinatus) und Einfachem Igelkolben (Sparganium emersum) (LRT 3260). Besonders üppig ist die Unterwasservegetation im strömungsarmen Rückstaubereich der Wehre ausgebildet. Die Ufer werden von Feuchten Hochstaudenfluren (LRT 6430) gesäumt. An einigen Stellen gedeiht der Wasser-Ampfer (Rumex aquaticus). Ufergehölze sind nur spärlich vorhanden, Auenwälder fehlen weitgehend. Große Anteile der Aue unterliegen der Grünlandnutzung, artenreiches Feuchtgrünland stellt allerdings die Ausnahme dar. In der Nethe kommen Bachforelle (Salmo trutta f. fario), Gründling (Gobio gobio) und Äsche (Thymallus thymallus) sowie als FFH-Arten Bachneunauge (Lampetra planeri) und Groppe (Cottus gobio) vor. Als Arten der EG-Vogelschutzrichtlinie kommen Eisvogel (Alcedo atthis) und Neuntöter (Lanius collurio) vor, als wertbestimmende Charakterarten der Fließgewässer weiterhin Gebirgsstelze (Motacilla cinerea) und Wasseramsel (Cinclus cinclus). Im Bereich verbrachender Feuchtwiesen finden sich darüber hinaus die kreisweit einzigen größeren Vorkommen der gefährdeten Sumpfschrecke (Mecostethus grossus). Bei Willebadessen befindet sich in der Aue ein gut ausgebildetes Kalk-Flachmoor mit typischem Arteninventar (LRT 7230). Angesichts der in weiten Teilen großen Naturnähe hinsichtlich Gewässerstruktur und Arteninventar hat die Nethe eine überregionale Bedeutung. Sie ermöglicht ferner eine Biotopvernetzung von Egge und Weser. Entwicklungsziele für das 740 ha große Gebiet sind der Erhalt und die Förderung naturnaher Gewässerstrukturen, die Herstellung einer vollständigen Durchgängigkeit des Gewässers für Fische und Kleinlebewesen, die Verbesserung der Wasserqualität, die Extensivierung der Nutzung in der Aue hin zur extensiven Grünlandnutzung sowie die Entwicklung von Auenwald. 6.3 Schwarzbachtal (DE-4419-301)Innerhalb des 220 ha großen Gebietes stocken großflächige Hainsimsenbuchenwälder (LRT 9110) und Stieleichen-Hainbuchenwälder. Diese werden durchquert vom naturnahen Bachtal des Schwarzbaches. Im Bach selbst finden sich längere Abschnitte mit submerser Vegetation (LRT 3260). Die Ufer säumen bachbegleitende Erlen-Auenwälder (LRT 91E0), welche die kreisweit besten Bestände darstellen. Im Schwarzbachtal findet sich eine der wenigen Bruten des Schwarzstorches (Ciconia nigra) in NRW. Als weitere Arten der Vogelschutzrichtlinie kommt der Eisvogel (Alcedo atthis), in den angrenzenden Wäldern zudem der Mittelspecht (Dendrocopus medius), der Schwarzspecht (Dryocopus martius), der Rotmilan (Milvus milvus) und der Grauspecht (Picus canus) vor. Die zukünftig im Gebiet durchzuführenden Schutzmaßnahmen sollen in erster Linie dem Erhalt der Naturnähe sowie der Optimierung von Habitaten für den Schwarzstorch dienen. 6.4 Satzer Moor (DE-4220-301)Das Satzer Moor bei Bad Driburg-Herste (vgl. Schiffgens in diesem Heft) wird vom unverbauten, reich strukturierten Aabach mit einer typisch ausgeprägten Unterwasservegetation (LRT 6430) und teilweise flächig ausgedehnten Weiden-, Erlen- und Eschen-Ufergehölzen (91E0) durchflossen. Ziel der
zukünftigen Entwicklung ist neben dem Schutz und der Pflege des
Kalkflachmoorreliktes die natürliche Entwicklung eines
Weiden-Auenwaldes. 7 LiteraturBohn, U. (Hg.) (1996): Vegetationskarte der Bundesrepublik Deutschland 1 : 200 000 - Potentielle natürliche Vegetation - Blatt CC 5518 Fulda. Schriftenreihe für Vegetationskunde Heft 15. Bonn-Bad Godesberg Brehm, J. u. M.P.D. Meijering (1982): Fließgewässerkunde. Heidelberg Ellenberg, H. (1986): Die Vegetation Mitteleuropas mit den Alpen aus ökologischerSicht. Stuttgart Jedicke, L. u. E. Jedicke (1992): Farbatlas – Landschaften und Biotope Deutschlands, Stuttgart Königlich Preussische Kartenaufnahme - Uraufnahme - 1:25.000, herausgegeben 1838 Königlich Preussische Landesaufnahme, 1896. 1:25.000, herausgegeben 1898 Landesanstalt für Ökologie, Bodenordnung und Forsten NRW (Hg.) (2001): Gesetzlich geschützte Biotope in NRW (§ 62 LG). Recklinghausen Länderarbeitsgemeinschaft Wasser (2000): Die Gewässergütekarte der Bundesrepublik Deutschland. Mainz Ministerium für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz NRW (Hg.) (2001): Natura 2000, Netzwerk für den Naturschutz. Münster Oberdorfer, E. (1992): Süddeutsche Pflanzengesellschaften. Stuttgart, New York Pott, R. (1995): Die Pflanzengesellschaften Deutschlands. Stuttgart Pott, R. (1996): Biotoptypen: Schützenswerte Lebensräume Deutschlands und angrenzender Regionen. Stuttgart Riecken, U., U. Rieß & A. Ssymank (1994): Rote Liste der gefährdeten Biotoptypen der Bundesrepublik Deutschland. Bonn - Bad Godesberg Runge, F.(1994): Die Pflanzengesellschaften Mitteleuropas. Münster Ssymank, A., U. Hauke, C. Rückriem & E. Schröder (1998): Das europäische Schutzgebietssystem Natura 2000; BfN-Handbuch zur Umsetzung der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie und der Vogelschutz-Richtlinie. Schr.R. f. Landschaftspfl. u. Natursch. 53. Münster Späth, V. (1988): Zur Hochwassertoleranz von Auenwaldbäumen. Natur und Landschaft, 63, H. 7/8: 312-315 Tüxen, R. (1979): Die Pflanzengesellschaften Nordwestdeutschlands. Mitteilungen der Floristisch-soziologischen Arbeitsgemeinschaft Niedersachsen. Lehre Verbücheln, G.; D. Hinterlang; A. Pardey; R. Pott; U. Raabe & K. van de Weyer (1995): Rote Liste der Pflanzengesellschaften in Nordrhein-Westfalen. – Schriftenreihe LÖBF/LfAO Bd. 5
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