Der Kranichzug im Kreis
Höxter von 1996 bis 2001
Heiko Köstermeyer |
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EGGE-WESER | Band 14 | Seiten 051-058 | 2001 |
EinleitungAusgelöst durch einen starken Bestandsrückgang des Kranichs (Grus grus) in Deutschland bis in die Mitte der 80iger Jahre des 20.Jh. rückte die Dokumentation der Bestandsgrößen der Kranichpopulation in den Mittelpunkt des Interesses vieler Ornithologen. Neben der traditionellen Kontrolle durch Zählungen in den Brutgebieten wurde die Bestandsentwicklung vor allem durch Zählungen an den traditionellen Kranichrastplätzen wie der Bockregion auf Rügen (Prange 1996) und verstärkt auch durch Zugzählungen im Binnenland (z.B. Kraft 1995, Preywisch & Müller 1988) verfolgt. Durch die Kombination der verschiedenen Erfassungsmethoden und den hohen Bekanntheitsgrad des Kraniches konnten einerseits die Arealausweitung in die ehemals besetzten Brutgebiete Westdeutschlands (Mewes 1996), andererseits auch der starke Anstieg der westlich ziehenden Kranichpopulation gut dokumentiert werden. Anhand von Zugzählungen lassen sich neben der reinen Bestandsentwicklung auch noch wichtige Daten zum Zugverhalten der Kraniche wie Verlagerungen der Zugrouten ermitteln, die für den Erhalt dieser Art in Zukunft stark an Bedeutung gewinnen werden. Material und MethodenDer NEW ruft jedes Jahr vor Beginn der Zugperioden die Bevölkerung über die Medien auf, Kranichbeobachtungen an den Naturkundlichen Verein zu melden. Erfaßt wurden Angaben zum Melder, der Beobachtungsort, das Datum, die Uhrzeit, die Anzahl der Züge und der Tiere pro Zug sowie die Zugrichtung und besondere Beobachtungen. Die Daten wurden zentral beim NEW gesammelt, in einer Datenbank gespeichert und nach Abschluß des Zuggeschehens ausgewertet. In die Datenbank gingen grundsätzlich alle gemeldeten Daten ein, die zumindest den Beobachtungsort und das Datum der Beobachtung enthielten. Vor Beginn der Auswertung wurden alle Beobachtungen auf mögliche Doppelmeldungen geprüft und die Datensätze entsprechend bereinigt. Meldungen wurden immer dann als Doppelmeldungen gewertet, wenn die Kombination aus Beobachtungsort, -zeit, Anzahl der Tiere und Zugrichtung Übereinstimmung aufwiesen. Als Doppelmeldungen wurden ebenfalls alle Meldungen eingestuft, bei denen es als wahrscheinlich gelten muß, daß die Tiere auf ihrem Zugweg an verschiedenen Standorten beobachtet wurden. In der Praxis wird das Erkennen von Doppelmeldungen jedoch durch häufig zwar ähnliche, aber in der Zahl der beobachteten Tiere von einander abweichenden Meldungen erschwert. Generell ist die Schätzung von größeren Gruppen ziehender Vögel, auch von Kranichen, stark von der Erfahrung und den individuellen Fähigkeiten der Beobachter abhängig. Mehrere Beobachter schätzen identische Trupps zumeist unterschiedlich groß ein. Da eine Bewertung der Schätzgenauigkeit der einzelnen Beobachter nicht möglich und im Rahmen dieser Erhebung auch nicht gewünscht ist, da ja gerade jeder aus der Bevölkerung an der Erhebung teilnehmen können soll, wurde in der Regel darauf verzichtet, bei abweichenden Truppgrößen Doppelmeldungen anzunehmen. Für eine genaue Beurteilung einzelner Meldungen hätte außerdem der genaue Standort und die Blickrichtung des Beobachters vorliegen müssen, dies ist jedoch nur in Ausnahmen der Fall. Aufgrund dieser Einschränkung ist nicht auszuschließen, daß noch Doppelmeldungen in den ausgewerteten Datensätzen vorkommen; diese stellen jedoch sehr wahrscheinlich nur einen geringen Prozentteil aller Meldung dar und stammen überwiegend von Massenzugtagen, an denen ohnehin nur ein Teil des Zuggeschehens beobachtet wird. Das verwendete Verfahren unterscheidet sich damit grundsätzlich von der von Müller (1989) und Preywisch & Müller (1988) bei früheren Auswertungen benutzten Methode. Methodenbedingt liegen die Kranichzahlen bei der hier verwendeten Methode deutlich über den Werten der vorgenannten Autoren. Zur Vermeidung einer größeren Überschätzung der Anzahl, der durch den Kreis Höxter ziehenden Kraniche wurden daher die gemeldeten Truppgrößen in Zweifelsfällen oder bei Mehrfachmeldung mit der niedrigsten gemeldeten Individuenzahl in der Auswertung berücksichtigt. Grundsätzlich wurden bei Angaben, die eine untere und eine obere Grenze für die Anzahl enthielten, die geringste angegebene Truppgröße berücksichtigt. Nächtlicher Zug wurde bei fehlender oder nur vager Angabe der Anzahl der Tiere stets mit lediglich 2 Tieren als absolutes Minimum in die Datenbank mitaufgenommen. Sofern genauere Angaben vorlagen, wurden die entsprechenden Truppgrößen berücksichtigt. ErgebnisseKranichbeobachtungen liegen für das Kreisgebiet aus den Monaten August bis April vor. Lediglich in den Sommermonaten von Mai bis Juli wurden im Berichtszeitraum keine Kranichbeobachtungen gemeldet. Das Gros der Kranich überquert den Kreis während des Herbstzuges im Oktober und November sowie auf dem Frühjahrszug im Februar und März (Abb. 1). Der Zugverlauf weist im Vergleich zwischen den einzelnen Jahren sowohl starke Schwankungen in der Individuenzahl als auch in Beginn und Ende der Zugperiode auf (vgl. Tab. 1). Der früheste Wegzug wurde 1997 beobachtet, als bereits am 25. August die ersten Kraniche nach Südwesten zogen und die letzte Beobachtung zum Herbstzug bereits am 19. November erfolgte. Dagegen erfolgte der Wegzug 2000 sehr spät mit dem Zugbeginn am 16. Oktober und Zugende erst am 30. Dezember.
Abb.1: Übersicht Kranichzugverlauf im Kreis Höxter von 1996 bis 2001
Tab. 1: Übersicht Zugbeginn und Zugende 1996-2001 Wegzug Heimzug Beginn Ende Beginn Ende 1996 12. Okt 21. Dez 19. Feb 24. Mrz 1997 25. Aug 19. Nov 03. Jan 19. Mrz 1998 18. Sep 19. Nov 19. Feb 15. Mrz 1999 15. Okt 25. Nov 14. Jan 16. Mrz 2000 16. Okt 30. Dez 06. Feb 02. Apr 2001 14. Jan 10. Mrz --------------------------------------------------------------- Der Heimzug weist ähnlich starke Schwankungen auf. So wurde ebenfalls 1997 der früheste Heimzug mit den ersten Nordost ziehenden Kranichen bereits am 3. Januar beobachtet. Die spätestens Frühjahrsbeobachtungen stammen aus 2000, als am 2. April noch Kraniche gesichtet wurden. Die Dauer der Zugperioden zeigt ein uneinheitliches Bild mit starken jährlichen Unterschieden. Das gesamte Zuggeschehen erstreckt sich im Herbst jedoch eher auf einen kürzeren Zeitraum als im Frühjahr (s. Tab. 2). Der Großteil der Tiere zieht im Frühjahr konzentriert innerhalb von ein bis zwei Wochen, während im Herbst häufiger mehrere Schübe zu beobachten sind (vgl. Abb. 2a-2f).
Tab.2: Dauer der Zugperioden in Tagen von 1996 bis Frühjahr 2001 1996 1997 1998 1999 2000 2001 Mittelwert Wegzug 34 74 24 61 56 55 50,7 Heimzug 70 86 62 45 75 - 67,6 ------------------------------------------------------------------
Abb. 2a-c: Phänologie des Kranichzuges 1996 bis 1998. (KW=Kalenderwoche)
Abb. 2d-f: Phänologie des Kranichzuges 1999 bis 2001. (KW=Kalenderwoche)
Die Zahl durchziehender Kraniche auf dem Herbstzug schwankt zwischen 10.000 und 17.000 und auf dem Frühjahrszug zwischen 3.000 und 7.000. Eine Ausnahme bildet das Jahr 1996, als sowohl im Frühjahr als auch Herbst ein massiver Kranichzug mit 21.000 bzw. 45.000 Individuen zu bebachten war. In den Folgejahren ist die Anzahl sowohl der Meldungen als auch der gemeldeten Individuenzahlen gerade auf dem normal stärker ausgeprägtem Herbstzug kontinuierlich rückläufig (vgl. Tab.3)
Tab.3: Beobachtete Kraniche in den Gemeinden des Kreises Höxter von 1996-2001
Innerhalb des Kreisgebietes kommt es zu einer stärkeren Differenzierung der Kranichmeldungen. Der Schwerpunkt des Kranichdurchzuges liegt im südlichen Kreisgebiet in Warburg und Bad Driburg sowie entlang der größeren Fließgewässersysteme Weser und Nethe in den Gemeinden Beverungen, Brakel und Höxter (vgl. Tab. 3). DiskussionDas Kreisgebiet von Höxter lag nach älteren Quellen im zentralen Bereich der Frühjahrs- und Herbstzugrouten des Kranichs in Mitteleuropa. Insbesondere der Herbstzug wurde dabei von den Tieren der Rastplätze der Bockregion und der Müritz dominiert (Moll 1994, Prange 1986). Neuere Zugbeobachtungen, u.a. aus dem Mittelhessischem Raum (vgl. Kraft 1995), mit hohen Durchzugszahlen deuten hingegen auf eine Südverlagerung des über Deutschland stattfindenden Zuggeschehens zumindest während des Herbstzuges hin. Eine ähnliche Tendenz ist für den Kreis Höxter zu beobachten. Dies manifestiert sich sowohl in der deutlich höheren Zahl der Beobachtungen im südlichen und östlichen Kreisgebiet als auch in der in jüngerer Zeit geringeren Zahl an Kranichbeobachtungen auf dem Herbstzug. Wurden 1996 auf dem Herbstzug noch 44.930 Kraniche beobachtet, sank die Zahl gemeldeter Individuen bis 2000 auf 9744 kontinuierlich ab. Im Gegensatz zum negativen Trend im Kreis Höxter ist seit Anfang der 80iger Jahre des letzten Jahrhunderts für den westwärts über Mitteleuropa ziehenden Kranichbestand hingegen eine deutliche Bestandszunahme zu verzeichnen (Mewes 1996), die sich einerseits in einer Ausdehnung der Brutgebiete nach Westen verdeutlicht (Mewes 1996) andererseits in einer stetig steigenden Zahl rastender Kraniche in Ostdeutschland (Prange 1996) und im Überwinterungsgebiet in Spanien (Alonso & Alonso 1996). So verdoppelte sich der maximale Rastbestand in Ostdeutschland von 40.000 Individuen 1985 auf etwa 80.000 Individuen 1995 (Prange 1996). Die langfristigen Veränderungen im räumlichen Zugverhalten lassen sich vor allem durch eine veränderte Rastplatzwahl der Kraniche in Ostdeutschland erklären, rasteten 1985 noch über 2/3 der Kraniche an den traditionellen Küstenrastplätzen, kehrte sich das Verhältnis bis 1995 um, so daß sich inzwischen 2/3 der Individuen an neu erschlossenen Rastplätzen im Binnenland sammeln. Während die absolute Zahl der eher nördlich ziehenden Kraniche der Küstengebiete mit etwa 30.000 in diesem Zeitraum weitgehend konstant blieb, verteilte sich die Zunahme des Kranichbestandes vor allem auf die Sammelplätze im Binnenland, die zudem eine deutliche Ausdehnung nach Süden aufweisen (Prange 1996). So ist inzwischen davon auszugehen, daß das Kreisgebiet Höxter, bezogen auf die gesamte westwärts ziehende Population des Kranichs, nicht mehr im Kern des etwa 340 km breiten Zugkorridors liegt. Die geringeren Beobachtungszahlen des Kranichs lassen sich hierdurch jedoch nur teilweise erklären. Als weiterer wichtiger Punkt ist ebenfalls von einer rückläufigen „Meldeaktivität“ der Kranichbeobachter auszugehen. Obwohl der rückläufige Trend an Meldungen offensichtlich ist, kann gegenwärtig allerdings noch nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, daß die gemeldeten Kranichzahlen der letzten Jahre noch innerhalb der möglichen Schwankungsbreite einer auf zufälligen Beobachtungen aufgebauten Erfassung der durchziehenden Population liegen. Der zeitliche Verlauf des Kranichzuges im Beobachtungsgebiet spiegelt die allgemein bekannten Gegebenheiten des Zugverhaltens der Kraniche in Deutschland wieder. Ausgehend von den bekannten großen Rastplätzen in Ostdeutschland wie Rügen/Darß, Müritz oder Untere Oder setzt der Herbstzug mit den ersten stärkeren Nachtfrösten zumeist Ende Oktober bis Anfang November ein und verläuft in zwei bis drei Wellen bis Ende November. Der Frühjahrszug weist hingegen eine starke Konzentration auf wenige herausragende Zugtage auf. Die im Hauptzuggebiet auch im Frühjahr auftretenden 2 bis 3 Wellen über einen Zeitraum von durchschnittlich 25 Tage (Prange 1986) stellen für den Kreis eine seltene Ausnahme dar. Besondere Konzentrationen von auf dem Zugweg überwinternden Kranichen oder nachziehenden Nichtbrütertrupps wurden nicht beobachtet. Bemerkenswert ist die verhältnismäßig lange Ausdehnung der Zugperiode, die deutlich über den von Prange (1986) angegeben 5 bis 10 Wochen liegt. Die Ursache hierfür ist in der Ausweitung des Brutgebiets nach Westen (Höxter liegt lediglich 100 km Luftlinie von den nächsten sicher bekannten Brutgebieten entfernt) und in der verbesserten Nahrungsversorgung auf den Sammelplätzen zu sehen, sowie in der vollständigen Berücksichtigung von Nichtbrütern und im Durchzugsgebiet überwinternden Tieren. Insbesondere die teilweise gezielte Fütterung der Kraniche in den Sammelgebieten führt zu einer stärkeren Standorttreue und einem späteren Abzug der Kraniche. Prange (1996) konnte zwischen 1960 und 1995 eine Verschiebung des mittleren Datums rastender Kranich an der Müritz von 3 Wochen belegen. AusblickNach der Vorlage der jüngeren Daten des Kranichzuges über dem Kreisgebiet Höxters ist eine vollständige Auswertung auch der älteren Beobachtungen eine der vordringlichsten Aufgaben für die Zukunft. Gleichzeitig ist die Fortführung der Datensammlung, auch von Zufallsbeobachtungen, des Kranichzuges auch in Zukunft geeignet Veränderungen sowohl im Bestand als im Zugverhalten des Kranichs zu erkennen und darauf aufbauend Fragen zu den Ursachen dieser Veränderungen aufzuwerfen und zu beantworten, die für das Verständnis und den Schutz dieser Art von Interesse sind. DanksagungIm Namen des Naturkundlichen Vereins Egge-Weser bedankt sich der Autor bei allen ehrenamtlichen Meldern, die ihre Daten freundlicherweise zur Verfügung gestellt haben und ohne die diese Veröffentlichung nicht möglich gewesen wäre, sowie dem Regierungspräsidium Detmold für die wohlwollende Förderung der Erhebung und Sammlung der Daten. Literatur
Alonso, J. C. & J. A. Alonso (1996): Updated estimate of numbers and distribution of Common Cranes wintering in Spain. Die Vogelwelt 117: 149-152. Kraft, M. (1993): Kranich. In: Mothes-Wagner, U. (ed.): Vogelkundliche Jahresberichte Marburg-Biedenkopf 14/1995; S.48. Moll, K.H. (1994): Grus grus – Kranich. In: Glutz v. Blotzheim, U. (ed.): Handbuch der Vögel Mitteleuropas Bd.5; S. 567-606. Mewes, W. (1996): Bestandsentwicklung, Verbreitung und Siedlungsdichte des Kranichs in Deutschland. Die Vogelwelt 117: 103-109. Müller, J. (1989): Kranichzug über dem Kreis Höxter. Egge-Weser 6: 28-32. Prange, H. (1989): Der Graue Kranich. Die Neue Brehm Bücherei 229. 272 S. Prange, H. (1996): Entwicklung der Kranichrast in Deutschland von 1960 bis 1995. Die Vogelwelt 117: 125-138. Preywisch, K. & Müller, J. (1988): Der Kranichzug 1987 bei Höxter; Erörterungen und Vergleich von Fühjahrs- und Herbstbeobachtungen. Egge-Weser 5: 19-36. Anschrift des Verfassers:Heiko Köstermeyer, Corvey 12, 37671 Höxter
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