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Beeinflussen Flohkrebse Verwaltungen?GROMMELT, H.-J. -1989- Das Dilemma des Biologen in der Umweltverwaltung oder: Kann das Verhalten von Flohkrebsen das Verhalten von Verwaltungen beeinflussen? -In: S. NEUBECK, M. BLUMBERG & U. PAULY (Hrsg.) - Kommunikation im Ökosystem - Witzenhausen: 135-142 Unser Mitglied Hans-Joachim Grommelt ist Wissenschaftler in der Umweltbehörde einer hessischen Großstadt. In dieser Schrift spricht er witzig und gedankentief den amtlichen und nebenamtlichen Mitarbeitern der Umweltbehörden aus der Seele. Wir versuchen hier einen Auszug. Chemisch wirkende Stoffe belasten die Lebewesen am stärksten. Ein Wirkstoff des oft verwendeten Herbizids Glyphosat beeinträchtigte in millionenfacher Verdünnung (10-7 mol/1 H2O) Einzeltiere vom Gemeinen Flohkrebs überhaupt nicht. Sie schwammen so munter und lebten so lange wie ihre Artgenossen in einem giftfreien Vergleichswasser. Was sich nach KICKUTH änderte, war ihr Verhalten zur Umwelt, in diesem Fall zur eigenen Art. Sie paarten sich selten. STUMM & SCHWARZENBACH erwähnen, daß 10-10 mol/l eines bestimmten Lösungsmittels in einem Fluß verhindern, daß Lachse zu ihren Laichplätzen aufsteigen. SCHRÖDER & PETERS zeigen, daß Guppy-Männchen deutlich weniger balzten, wenn sie in 10%iger Verdünnung des gereinigten Abwassers einer Münchener Großkläranlage schwammen. Die gleiche Wirkung erzielten sie in Wasser mit einem Millionstel g/l Lindan. Wie können sich Umweltgutachter in einer Zeit bewähren, in der der gute Wille der Bürger und auch ihrer politischen Vertreter den Möglichkeiten vorauseilt, auch nur annähernd so rasch Kenntnisse über die ständig wachsende Zahl gefährdender Stoffe und gefährdeter Wesen zu gewinnen. - 66 -
"Die Problematik stellt sich noch verhältnismäßig einfach dar, wenn sie nur eine Abschätzung auf Effekte für die menschliche Gesundheit erfordert. Die Wirkungen von Chemikalien im Freiland sind aus biologischer Sicht überhaupt nicht abschätzbar, wenn man auch die anfangs dargestellte Wirkungsebene im Verhaltensbereich von Tieren einbezieht" "In einer nordrhein-westfälischen Großstadt wurde vor einigen Jahren der Einsatz von Herbiziden für die Verwaltung verboten. In der Folgezeit konnten sich Algen, Moose, Gräser, Kräuter und auch Gehölze ausbreiten, weil auch eine andersartige Bekämpfung (z.B. mechanisch) nicht erfolgte. Verkrautete Friedhofswege, Bürgersteige und Verkehrsflächen wurden zum Thema in der öffentlichen Diskussion. Eine Lokalzeitung entwarf das Zukunftsbild eines 'grünen Dschungels' in der Großstadt, wenn nicht bald Entscheidungen für eine Beseitigung des 'Wildwuchses' getroffen würden. Die Ämter stellten Bilanzen auf, welche die Kosten vor allem für den Personalmehrbedarf bei mechanischer Pflanzenbekämpfung denjenigen für den Herbizideinsatz gegenüberstellten. Es wurde von selten dieser Ämter versucht, die Unbedenklichkeit chemischer Pflanzenbekämpfungsmittel durch Hinweise auf die Freigabe durch die Biologische Bundesanstalt und darauf aufbauende Gutachten zu belegen. Mit dieser Sache konfrontiert, steht der Biologe in der Kommunalverwaltung vor dem Problem, die amtlich bescheinigte 'Unbedenklichkeit' der fachlich zuständigen Bundesbehörde für Nichtfachleute überzeugend in Zweifel zu ziehen." "Der erneute Einsatz von Herbiziden in der erwähnten Großstadt konnte zumindest so lange verschoben werden, bis praktische Erfahrungen mit der thermischen Pflanzenbekämpfung auf öffentlichen Flächen vorliegen würden. Wie man sieht, bringen rechtliche Vorgaben und amtliche Zulassungen nicht immer eine Arbeitserleichterung für die Umweltverwaltung. Im Gegenteil, sie können zu neuen Problemen bei anstehenden Entscheidungen führen, wenn man den Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis berücksichtigen will. Daher kann es letzten Endes einfacher sein, Stellungnahmen im Zusammenhang mit Chemikalien abzugeben, für die zumindest im Bereich des zu beurteilenden Umweltmediums keine Vorgaben vorhanden sind. Diese trifft für viele organische Verbindungen im Boden zu." In diesem Zusammenhang spricht sich GROMMELT - mit vielen anderen und im gleichen Sinn wie das Bundesumweltministerium für die Umweltverträglichkeitsprüfung aus, wenn neue Stoffe oder Gemische irgendwo die Umwelt gefährden könnten. Darin werden unabhängig von den rechtlich zugelassenen "Höchstmengen" die von dem geplanten - 67 -
Vorhaben möglicherweise ausgehenden Belastungen in einer Wirkungsanalyse nach ihrer Art, Stärke, Dauer, Kraft und Reichweite ihrer Ausbreitung, Belastung der Umwelt in ihrer Einzel- und Wechselwirkung ermittelt oder eingeschätzt. Das ist aber nur möglich, wenn die Ergebnisse der neuesten Umwelt- und Umweltgiftforschungen zentral gespeichert und von den Umweltverwaltungen leicht abgerufen werden können.
Literatur: KICKUTH. R. -1979- Modified trophic signals in eco-systems- In: Mode of Action of Glyphosate, Proc.Sen., 181-192, Oxford. SCHRÖDER, J.H. & K. PETERS -1988- Differential Courtship Activity of Competing Guppy Males (Poecilia reticulata Peters; Pisces: Poecillidae) as an indicator for low concentrations of Aquatic Polluants - Bull.Environ.Contam.Toxicol., 40396-404. STUMM, W. & R. SCHWARZENBACH -1979- Die Schadstoffe in unserer Umwelt und ihre Auswirkungen auf die Ökologie, Mensch und Tier- In: Internationale Arbeitsgemeinschaft der Wasserwerke im Rheineinzugsgebiet (Hrsg.), 7. Arbeitstagung, 36-59, Auterdam.
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