EGGE-WESER |
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Seite: 20-31 |
Höxter 1988 |
Der natürliche Fluß und seine Veränderung durch den Menschen
Dargestellt am Beispiel Oberweser
von Michael Buschmann
"Auf den ersten Blick scheint er eher die Kaskaden eines Wildbaches als die Gefällelinien eines schiffbaren Stromes darzustellen."
KELLER (1892) über einen Längsschnitt der Oberweser aus dem 19. Jahrhundert.
Zusammenfassung:
Am Beispiel der Oberweser zwischen Beverungen und Holzminden wird die
weitestgehende Zerstörung eines natürlichen Flußsystems durch den Menschen
aufgezeigt. Die für den Naturzustand typischen Gewässerstrukturen wie
Stromspaltungen, Uferabbrüche, Kolke und Flachwasserstellen werden eingehend
charakterisiert und die Geschichte ihrer Beseitigung beschrieben.
Ein Vergleich zwischen ursprünglicher und heutiger Flußlandschaft
verdeutlicht die durch das Wirken des Menschen verursachten tiefgreifenden
Veränderungen im "Ökosystem Fluß". Es zeigt sich, daß der wesentliche Eingriff des Menschen auf den Fluß heute darin besteht, daß sich die Wirkungen
nacheinander folgender Hochwasser nicht mehr summieren können.
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Einleitung:
Eingriffe in den natürlichen Verlauf von Fließgewässern und damit in den
Naturhaushalt der Auen gehören zu den frühesten Aktivitäten des Menschen, mit
denen er seine Umwelt zum eigenen Nutzen gestaltete. Bis in die heutige Zeit
gehören der Hochwasserschutz, die Schiffbarkeit der Flüsse und die Melioration
der Auen zu den wesentlichen Zielen des Wasserbaues.
Eine mehr oder weniger intensive Zerstörung der Flußaue hat in der
Vergangenheit auch an der Weser, einem der größten Ströme Nord-Westdeutschlands,
stattgefunden. Durch die in historischer Zeit einsetzende Veränderung der
Flußlandschaft ist das Bild der ursprünglichen Flußaue mit ihrer durch
Hochwasser geprägten ökologischen Vielfalt und Schönheit weitgehend aus dem
Bewußtsein der Bevölkerung verdrängt.
Im Gegensatz zur Aue erfolgte ein direkter Eingriff in den eigentlichen
Grundriß des Flusses durch den Menschen erst sehr spät. Bis weit in das 16.
Jahrhundert hinein blieben beispielsweise Flußinseln, die an der Weser "Werder" genannt werden, erhalten.
Der vorliegende Aufsatz soll mit dem Versuch, die Entwicklung des
eigentlichen Weserflußlaufes zwischen Beverungen und Holzminden von seinem
ursprünglichen bis zum heutigen, vom Menschen geprägten Zustand aufzuzeigen,
einen Beitrag zum besseren Verständnis dieser Flußlandschaft leisten.
1. Der natürliche Fluß
Grundriß:
Die Weser verläuft zwischen Beverungen und Holzminden in weit ausholenden
Flußschlingen, die von kleineren untergliedert werden. Diese als "MÄANDER"
bezeichneten Flußschlingen sind im breiten Talabschnitt zwischen Boffzen und
Holzminden besonders gut ausgeprägt. Über die Entstehung dieser Flußmäander gibt
es gut ein Dutzend Theorien (vgl. SCHEUERMANN 1980), so daß an dieser Stelle
nicht näher darauf eingegangen wird. Angemerkt sei jedoch, daß die Formen der
Flußschlingen im Untersuchungsgebiet offensichtlich durch Talform, Gefälle und
Wasserabflußmenge der Weser und den ablenkenden Einfluß der Weserzuflüsse, wie
Nethe, Schelpe und Saumer beeinflußt werden. So weist der Flußabschnitt zwischen
Boffzen und Holzminden ein durchschnittlich geringeres Gefälle und ein breiteres
Tal auf als der Flußabschnitt zwischen Beverungen und Fürstenberg. Im
Mündungsbereich der Nethe werden der Weser zusätzliche Wassermengen und
Geschiebe zugeführt.
Daß die Weser ihren Lauf in früheren Zeiten des öfteren geändert hat, zeigen
alte, mit Auelehm aufgefüllte Flußarme. Diese Laufverlegung konnte durch
eine Wanderung der Mäander (Migration) oder durch das Abschneiden (Durchstich)
der Mäander bei einem Hochwasserereignis erfolgen.
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Abb. 1: Migration und Durchstich am Beispiel der Wesermäander
zwischen Lüchtringen und Albaxen.
Bis Mitte des letzten Jahrhunderts ist der Grundriß der Weser durch
menschliche Eingriffe nicht erheblich verändert worden (KELLER 1892).
Stromspaltungen:
Neben den Mäandern sind die Stromspaltungen, die früher in großer Zahl an der
ganzen Weser vorhanden waren, charakteristisch für den Naturzustand. An der
Weser lassen sich nach BREMER (1959) zwei Arten der Stromspaltungen
unterscheiden:
- Die einen sind relativ kurz, etwa 500 - 800 m lang und umschließen einen
stromlinienförmigen Werder. Sie sind vermutlich durch eine Kiesbank im Strom
entstanden, die zu einer Insel anwuchs. Voraussetzungen für die Entstehung von
Kiesbänken ist eine ausreichende Geschiebeführung des Flusses. So entstanden
die Inseln in der Vergangenheit meisten dort, wo ein Nebenfluß zusätzliches
Geschiebe in den Fluß brachte. Dies war im Untersuchungsgebiet z.B. unterhalb
der Saumer- und Nethemündung der Fall (KELLER 1892). Auch dort, wo durch
Seitenerosion Uferabbrüche stattfanden, gelangt zusätzliches Geschiebe in den
Fluß. Als beispielsweise in den Jahren 1816 / 17 der Prallhang gegenüber von
Corvey abrutschte, entstand in der Folge wenige Meter unterhalb der
Abbruchstelle eine neue Insel (KELLER 1892). Die Inselbildung kann unter
Umständen sehr schnell erfolgen. So berichtet KELLER von einer Kiesbank, die
sich 1829 bei Stolzau gebildet hatte und zwei Jahre später zu einer Insel
angewachsen war, auf der schon ein kleines Weidengebüsch stockte.
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- Die zweite Art der Stromspaltungen hat 2-3 km lange Stromarme, die
zumeist gebogen sind oder sogar mehrere Schlangen haben können. Die zwischen
den Stromarmen liegenden Werder sind mehrere hundert Meter breit. Nach BREMER
(1959) ist bei dieser Form der zweite Arm durch eine aufgespaltene
Hochwasserströmung, also durch Erosion, entstanden.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren zwischen Beverungen und Holzminden nur
noch Relikte der Stromspaltungen erhalten. Bei den von KELLER (1892) und KRÜGER
(1930) beschriebenen Werdern dürfte es sich zumeist um die zuerst genannte Form
der Stromspaltungen gehandelt haben. Während die Stromspaltungen der ersten Form
zu beginnender Neuzeit noch an einigen Stellen in der Weser existierten, waren
die durch Hochwasserströmung entstandenen Nebenrinnen bereits weitestgehend
verlandet.
Kolke und Köpfe:
Nach BREMER (1959) konnte die Flußsohle durchaus große Unebenheiten
aufweisen. Tiefe Stellen, die Kolke, wechselten mit besonders flachen Stellen
ab, die in der Weser Köpfe genannt werden. Kolke lagen meistens vor den
Prallhängen, also am konkaven Ufer der Flußschlingen und erreichten eine Tiefe
bis 1,80 m unter der Normalsohle. Heute befinden sich noch sehr viele, z.T.
relativ kurze Kolke an den Einmündungen von Flutmulden, z.B. unterhalb Höxters
und unterhalb von Lüchtringen (BREMER 1959). Köpfe entstanden in der
Vergangenheit dort, wo die Schleppkraft des Hochwassers plötzlich vermindert
wurde, z.B. bei Abnahme des Gefälles oder dort, wo eine große Geschiebezufuhr
durch die Nebenflüsse erfolgte. Nur wenige Köpfe waren durch anstehende
Felsbänke bedingt (BREMER 1959). Als Folge der Anhebung der Flußsohle
entwickelte sich hinter den Köpfen zumeist ein sehr großes Gefalle, das an
einigen Flußabschnitten bis 20 0/00
erreichte.
Kolke wie auch die Köpfe unterliegen der Flußdynamik, sind also keine
Ruheformen. Beide Formen wandern auf der Flußsohle. BREMER (1959) betrachtet
Kolke als eine Form der Erosion und Köpfe als eine Form der Akkumulation. Im
Untersuchungsgebiet befindet sich heute noch der tiefste Kolk der Oberweser
unterhalb des Prallhanges bei Fürstenau. (KELLER 1892, WASSERSCHIFFAHRTSAMT
-Hannovrisch Münden, 1987). Köpfe gäbe es z.B. am Leonardkamp unterhalb von
Beverungen, unterhalb von Wehrden, sowie an den Schotterkegeln der
Weserseitenbäche Rottmünde und Bollerbach. In den Jahren 1920 / 30 hatte der
Fluß an vielen Stellen bei MW nur eine Wassertiefe von 0,4 - 0,5 m zu
verzeichnen und auch 1860 konnte er noch an vielen Stellen durchfurtet werden (RÜTHING
1986).
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Uferabbrüche:
Bei der Betrachtung der Uferabbrüche, die unter natürlichen Verhältnissen an
der Weser an vielen Stellen vorhanden gewesen sind, läßt sich die Vernetzung der
Gewässerdynamik besonders verdeutlichen. Eine Verlegung der Mäander, wie oben
beschrieben, geschieht vor allem auch durch ein langsames Verschieben der
Stromrinne. Die Folge sind große Uferabbrüche, zumeist an den Prallufern.
Besonders viele Uferabbrüche fanden sich früher an den Köpfen. Wurde in der
Flußmitte eine Kiesbank abgelagert, so hatte das ein Abdrängen des Flusses zur
Folge. Die dadurch bedingten Uferabbrüche führten flußabwärts wiederum zur
Bildung von Kies- bzw. Sandbänken. Andererseits konnten die Uferabbrüche auch
wieder zur Entstehung neuer Mäander beitragen. So fand man in Versuchen heraus,
daß sich -ausgehend von einem geraden Gerinne- entsprechend den genannten Köpfen
und Kolken, vorerst in regelmäßigen Abständen untiefe und tiefe Stellen
ablösten, woraus sich allmählich alternierende Geschiebebänke entwickelten.
Diese nahmen an Größe zu, drängten das Wasser gegen die Ufer, woraus eine immer
intensivere Ufererosion entstand und sich schließlich ein regelmäßig gewundener
Flußlauf bildete.
Abb 2: Entstehung von Flußverzweigungen und Mäandern im
Experiment (nach LEOPOLD und LANGBEIN). Aus: SCHEUERMANN (1980).
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Nach KELLER (1892) weisen 1819 die meisten Ufer im Untersuchungsgebiet große
Abbruchkanten auf. So z.B. bei Blankenau, Corvey und Lüchtringen. In der
Lüchtringer Stromschleife (km 74/75) war das rechte Ufer auf 1,5 km Länge
senkrecht abgebrochen. Nach 1841 existierten im Baukreis Höxter trotz
eingeleiteter Baumaßnahmen noch 88 große und mittlere Uferabbrüche.
2. Flußregulierung:
Der zuvor beschriebene Naturzustand der Weser prägte den Fluß bis in das
späte Mittelalter hinein. Wesentliche Veränderungen brachte die Nutzung des
Flusses als Schiffahrtsweg. Trug die im 12. Jahrhundert einsetzende Flößerei
einen guten Teil zur Wald- und Landschaftszerstörung bei, so führte die
Treidelschiffahrt zu einschneidenden Veränderungen der Flußstruktur. Nach dem
30-jährigen Krieg kam es mit der Gründung der Schiffergilde Münden zu
Instandsetzungen des Fahrwassers und damit zu einer ersten
wasserwirtschaftlichen Nutzung. Im wesentlichen räumten die Gilden jedoch nur
die gröbsten Hindernisse - etwa große Steine oder eingeschwemmte Bäume - aus der
Fahrrinne. An den flachsten Stellen wurde mit dem Wasserpflug eine schmale Rinne
ausgepflügt. Das Material wurde zur Seite geschoben, aber meist schon vom
nächsten Hochwasser wieder in die Rinne geschwemmt. Wie KELLER (1892) anmerkt,
trat die entscheidende Veränderung mit der Beschließung der
Wasserschiffahrts-Akte durch die beteiligten Uferstaaten ein (Preußen und
Braunschweig). Damit wurden die Schiffergilden, die bis dahin für die
Unterhaltung der Weser zuständig waren, aufgehoben und der Staat übernahm die
Unterhaltung der Schiffahrtswege.
Das Treideln erforderte befestigte Ufer, insbesondere mit der zunehmenden
Umstellung auf Pferdegespanne im 18. Jahrhundert. Nach LÖBE (1968), betrug die
Sollbreite eines Treidelpfades drei Meter. Zudem mußte zumindest auf jeweils
einem Ufer der Gehölzbewuchs entfernt werden. Dadurch wurden die Lebensräume von
Eisvogel und Fischotter weiter eingeengt und die Fischlaichplätze an den
flachen, Pflanzenreichen Ufern beeinträchtigt. Der nun vom Staat vorangetriebene
Ausbau der Oberweser erfolgte nahezu ausschließlich im Interesse von Schiffahrt
und Handel (ALBRECHT & KIRCHHOFF, 1986).
Bis in 19. Jahrhundert blieb der natürliche Grundriß des Flusses im
Untersuchungsgebiet weitgehend erhalten (KELLER 1892). Der größte Eingriff im
Rahmen der planmäßigen Regulierungsarbeiten des 19. Jahrhunderts erfolgte mit
der Beseitigung der Stromspaltungen bzw. mit der Anbindung der Werder an das
linke oder rechte Ufer. Dies geschah durch Abschließung der Nebenarme am oberen
Abzweig der Werder. Der verbliebene Totarm verlandete dann sehr schnell. So ist
z.B. die "Blankenauer Insel" (km 58,2 - 58,7) mit dem linken, der "Lüchtringer Kopf" (km 73,7) mit dem rechten Ufer verbunden worden; letzterer aber
großenteils abgetrieben. Heute sind die ehemaligen Inseln und Nebenarme mit den
Ufern bis zur Unkenntlichkeit verwachsen. Welche Schwierigkeiten die Beseitigung
der Stromspaltungen mit sich brachte, schildert KELLER (l.c.) am Beispiel des
"Platten Brinks", einer Insel, die sich unterhalb der Saumermündung aus dem
mitgeführten Geschiebe des kleinen Nebenbachs gebildet hatte:
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... der Platte Brink sollte nach der im November 1819... getroffenen
Vereinbarung an das rechte Ufer angeschlossen werden. 1821 wurde jedoch damit
begonnen, den linken Arm der Weser mit mehreren Reihen von Schlickzäunen und
durch Bepflanzung der bei Kleinwasser zutage liegenden Sandfelder zu verbauen.
Nachträglich hatte man nämlich den Anschluß an das linke Ufer für zweckmäßiger
gehalten...
...Das 1822 angelegte Sperrwerk und die ziemlich rasch im linken Arme
entstandenen Anhängerungen wurden indessen durch Hochwasser und Eisgänge bald
wieder zerstört und die Insel selbst durchrissen, so daß eine schlimmere
Verwilderung als zuvor eintrat. Außerdem warf sich die Strömung mit verdoppelter
Gewalt auf das rechtsseitige Ufer, zerfetzte dieses in starkem Abbruch..."
Die Beseitigung der meisten Werder war gegen Mitte des letzten Jahrhunderts
abgeschlossen. Erst 1885 wurden der Blankenauer Werder an das rechte Ufer
angebunden.
Beispiele für ehemalige Weserinseln in der Umgebung Höxters:
Abb. 3: Eine der frühesten Darstellungen Höxters
(17. Jahrhundert), zeigt den "nedderen Werder" bereits mit einer
Bebauung. Aus: RÜTHING, Höxter um 1500, (1986).
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Abb. 4: Belagerung und Einnahme von Höxter 1640 (nach MERIAN).
Die Zeichnung zeigt den "nedderen Werder" mit einer kleinen Insel
als "Anhängsel". Der Werder scheint weitestgehend melioriert.
Uferbefestigung:
Neben der Beseitigung der Stromspaltungen wurde als weiterer Ausbauschritt
die Festlegung der Uferbereiche betrieben, den KELLER (1892) folgendermaßen
beschreibt:
Die durch die Treidelschiffahrt bedingte Beseitigung der Ufergehölze war
vermutlich die Ursache für die oben genannten zahlreichen Uferabbrüche. Gegen
Mitte des 19. Jahrhunderts erhielten die Anlieger der Weser erhebliche Zuschüsse
von der Regierung für Baumaßnahmen, die zur Befestigung der Ufer beitrugen. In
der Regel befestigte man die Ufer mit Deckwerk aus Faschinen oder
Steinschüttungen. Dort wo das Ufer durch den Strom weniger erodiert wurde, galt
von jeher als Regel, die Sicherung des Ufers durch Abflachung und
Weidenpflanzungen jeweils an den Uferseiten, die keinen Treidelpfad besaßen, zu
bewirken. Allenfalls wurde erwähnt, daß die Weidenpflanzungen ganz vortrefflich
gedeihen, "wo sie nicht durch Menschen oder Vieh verdorben würden".
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"Um strenge Polizei zu üben, sei ein Pflanzenaufseher für den Baukreis Höxter
angestellt, der auf die Wiederherstellung der vom Vieh verwüsteten
Weidepflanzungen und die Beseitigung des zu alten Weidenstrauches zu achten
habe. An Ufervorsprüngen und auf Inseln seien Pflanzungen zu untersagen und der
natürliche Unwuchs auszurotten". Im Jahre 1859 gab es längs der beiden Seiten
der Weser des ganzen 59 km langen Ufers, das zum Baukreis Höxter gehörte, über
20 ha Weidenpflanzungen; durchschnittlich also auf beiden Seiten ein drei bis
vier Meter breiter Weidesaum. Die Anpflanzungen wurden geschickterweise dort
vorgenommen, wo sie vermehrt zur Sedimentablagerung beitrugen. Dadurch und durch
den später erfolgten Bau der Buhnenköpfe wurde der Abflußquerschnitt der Weser
erheblich eingeengt (BREMER 1959).
Mehrfach nutzte man auch die von den Seitengewässern in das Flußbett
geführten Geschiebe zur Einengung des Abflußquerschnittes. Bewirkt wurde dies
durch Bepflanzung der Schotterkegel. So z.B. an der Bevermündung, wo die Breite
der Weser schließlich nur noch 45 Meter betrug.
Vertiefung der Flußsohle:
Erhebliche größere Schwierigkeiten als die Festlegung der Ufer bereitete die
Ausräumung der Flußsohle. Bei der Errichtung der Höxterschen Landwehr wurde im
Jahre 1373 die Furt bei Boffzen durchgraben, die das Eindringen in die
benachbarte Feldmark ermöglicht hätte (RÜTHING 1986). Dieser vermutlich erste
Eingriff zur Vertiefung der Flußsohle kann jedoch nicht von Dauer gewesen sein,
da die Furt in späteren Jahren immer wieder erwähnt wurde (KRÜGER 1930). Zu
Beginn des 19. Jahrhunderts war damit begonnen worden, den anstehenden Fels und
große Steine von den Köpfen zu sprengen. Schon 1817 beseitigte man die
Flachstellen am Blankenauer Kopf und 1835 war die Vertiefung der Boffzener Furt
(Kopf) erfolgt (KELLER 1892). Diese Ausbaumaßnahmen konnten den gestiegenen
Anforderungen der Schiffahrt in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts
jedoch nicht mehr gerecht werden, so daß 1881 - 1883 beispielsweise der große
Ausbau des Flusses erfolgte, der 1888 - 1889 bis Höxter weitergeführt wurde.
Im Rahmen des groben Ausbaus der achtziger Jahre wurde die Flußsohle auf
Mittelwasser (1,00 m) ausgebaggert. Um die Aue als Hochwasserabflußrinne
freizuhalten, wurden die zuvor angepflanzten Weidensäume jetzt wieder beseitigt
und durch Röhricht (Rohrglanzgras) und Rasendecken ersetzt, so daß das
Überschwemmungsgebiet von Bäumen entblößt war. Dem starken Wellenschlag der im
20. Jahrhundert aufkommenden Raddampfer war diese Vegetation aber nicht mehr
gewachsen und mußte ab 1920 an vielen Stellen toten Baustoffen wie
Steinpackungen und Steinschüttungen weichen. Am Ende der Ausbaumaßnahmen blieb
vom ehemals reich strukturierten Flußbett nur eine Einheitsrinne ohne Inseln,
Uferabbrüche, tiefe Kolke und Flachwasserzonen übrig.
Die Folgen des Flußausbaus
Die Baumaßnahmen an der Oberweser erscheinen gegenüber Flußregulierungen an
anderen Gewässern (z.B. Oberrhein) vergleichsweise gering, griffen aber
gleichwohl tief in das ökologische Gefüge der Flußaue und in die Dynamik des
Flusses ein.
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Durch die Eingriffe des Menschen im letzten Jahrhundert wurde der Lauf des
Flusses festgelegt und eingetieft. Durch die Eintiefung ist das Flußbett für
kleinere Hochwasser aufnahmefähiger geworden (vgl. KRÜGER 1930). Bei extremem
Hochwasser wird im Vergleich zu früher wesentlich mehr Wasser im Flußbett
abgeführt, wodurch die Schleppkraft des Flusses erhöht wird. Daraus kann ein
weiteres Vertiefen der Flußsohle resultieren. Welche Sohlensenkungen im
Untersuchungsgebiet in den letzten Jahren erfolgten, zeigt die folgende Tabelle:
1879 ein Wasserstand von 3,02 m
1906 ein Wasserstand von 2,59 m
1920 ein Wasserstand von 2,45 m
1950 ein Wasserstand von 2,40 m
Tab. 1: Rückgang des
Mittelwasserstandes am Pegel Höxter als Folge der Sohleneintiefung der Weser
(entnommen: BREMER 1959).
Die angegebenen Wasserstände beziehen sich jeweils auf die gleiche
Abflußmenge. Ein tiefer Wasserstand bei gleicher Abflußmenge ergibt ein Maß für
die Sohlensenkung an der Pegelstation. Von 1879 bis 1950 ist also die Sohle um
62 cm vertieft worden, und zwar zunächst relativ schnell, während sie in den
Jahren von 1920 bis 1950 nur noch eine Senkung von 5 cm erfahren hat. Der im
Anfang hohe Senkungsbetrag läßt sich auf die Baggerarbeiten in den achtziger
Jahren des letzten Jahrhunderts zurückführen. Insgesamt dürfte der
Sendungsbetrag der Sohle seit Beginn der Ausbaumaßnahmen zwischen 0,80 bis 1,00
m betragen (vgl. BREMER 1959).
Die durch die Eintiefung der Flußsohle verursachte Absenkung des
Weserwasser-spiegels ist nicht so groß wie man erwarten sollte, da durch
Flußausbau der Abflußquerschnitt erheblich eingeengt wurde. Wie BREMER (1959) an
verschiedenen Flußabschnitten der Weser zeigt, ist der Niedrigwasserspiegel
weniger gesunken als die Flußsohle.
Obwohl sich die Flußsohle durch den Ausbau relativ verfestigt hat, hält die
Senkung weiter an. Im rezenten Flußbett wird bei Hochwasser wesentlich mehr
Wasser abgeführt als dies unter natürlichen Bedingungen der Fall war. Zudem
wurde der Abflußquerschnitt durch Buhnenbauwerke stark eingeschränkt. Die Folge
ist ein verstärkter Sohlenangriff in der Flußmitte.
Der Abstand zwischen der MW-Linie und den Stromborden hat sich infolge der
Ausbaumaßnahmen erhöht. Im Untersuchungsgebiet beträgt er im Durchschnitt
zwischen ca. 2,20 - 2,70 m (eigene Schätzung). Kleinere Hochwasser treten nicht
mehr über die Ufer. Bei extremen Hochwassern verbleibt ein Großteil der
Wassermassen im Flußbett, wodurch die Hochwassernebenströme in den Flutmulden
nicht mehr so stark ausgebildet sind. Die Erosionskraft ist also in der Talaue
herabgesetzt worden. Insgesamt dürfte die in der Vergangenheit ohnehin durch
Hochflutsedimentation und Meliorationsmaßnahmen entstandene Verlandungstendenz
der Flutrinnen durch Tieferlegung der Flußsohle und Ausbau des Flußbettes noch
verstärkt worden sein.
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Wesentlichen Einfluß auf die Verminderung der Flußdynamik hat die Festlegung
der Ufer. Da nun keine nennenswerte Seitenerosion mehr erfolgt, ist ein Wandern
der Mäander und somit eine natürliche Verlegung des Flußlaufes ausgeschlossen.
Ein Mäanderdurchstich, wie er nach BREMER (1959) beim großen Weserbogen
unterhalb von Lüchtringen unter natürlichen Bedingungen durchaus bevorstünde,
ist heute kaum noch zu erwarten. Nach BREMER (1959) lieferten die Uferabbrüche -
neben den Nebenflüssen - in der Vergangenheit einen großen Teil der Flußlast
(Geschiebe- und Suspensionsfracht). Da nun aber auch die Seitenzuflüsse der
Weser z.B. die Saumer dem Fluß infolge ihrer eigenen Regulierung weit weniger
Geschiebe zuführen als dies früher der Fall war, hat sich die Last der Weser
wesentlich verringert. Verminderte Geschiebezufuhr kann die Erosionswirkung des
Flusses erhöhen und an anderer Stelle die Sedimentationsvorgänge verringern.
Dazu führt KELLER (1892) aus:
"Wenn jetzt die Verlandung in den Buhnenfeldern weniger rasche Fortschritte
macht, so durfte dies dem Umstände zuzuschreiben sein, daß in dem ausgebauten
Strombette die Geschiebebewegung bedeutend schwächer als früher ist, und daß die
im Schutz der Strombauwerke liegenden, mit Rasen oder Weidenstrauch begrünten
Ufer dem Abbruche entzogen sind, wogegen sie ehemals große Massen von Sand und
Sinkstoffen an die Strömung abgaben."
Nicht nur bezüglich der Menge, sondern auch der Art des Geschiebes scheinen
seit dem Ausbau des Flusses Änderungen eingetreten zu sein, indem der von den
Uferabbrüchen und den Umlagerungen der Sohle herrührende feine Sand früher eine
weit größere Rolle gespielt hat als heute (vgl. KELLER, S. 202). Wie bereits
ausgeführt, können sich Geschiebe und Flußgefälle gegenseitig beeinflussen, u.a.
indem eine erhöhte Geschiebezufuhr zur "Kopfbildung" beitragen kann. Durch das
Geschiebe der Seitenbäche werden auch heute noch Köpfe unterhalb der
Mündungsbereiche gebildet, die ein größeres Gefälle des Flusses bedingen. So
beispielsweise an der Bollerbach- (km 68/69) und Saumermündung (km 77/78), wo
das Gefalle bei Niedrigwasser zwischen 5 und 6 0/00 liegt (BREMER 1959). Aufgrund der Geschiebearmut erreicht die Kopfbildung heute
jedoch nicht die Ausmaße, wie sie vor dem Weserausbau im Untersuchungsgebiet
üblich war (nach KELLER zwischen 13-20 0/00), zumal die Köpfe im Rahmen der üblichen "Unterhaltungsarbeiten" immer wieder
abgebaggert werden. Mit der Beseitigung der Köpfe erfolgte eine Einnivellierung
der Flußsohle, die an vielen Flußabschnitten eine Vereinheitlichung des
Flußgefälles mit sich brachte.
Heute scheint der wesentliche Einfluß des Menschen auf den Fluß darin zu
liegen, daß sich die Wirkungen nacheinander folgender Hochwasser nicht summieren
können. So wurden die beim Winterhochwasser 1986/87 entstandenen kleinen
Uferabbrüche im Untersuchungsgebiet im Laufe des Sommers vom Wasser- und
Schiffahrtsamt wieder beseitigt. Dem auentypischen, dynamischen
Verjüngungsprozeß - der Schaffung strukturreicher Pionierstandorte - wird somit
im Ansatz immer wieder Einhalt geboten.
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Literatur:
ALBRECHT, H. u. KIRCHHOFF, N. (1987): Ökologie der Weser - Der Fluß als
Lebensraum im Wandel der Zeit. In: BACHMANN, J. u. HARTMANN, H. (Hrsg.)
Schiffahrt; Handel, Höfen - Beiträge zur Geschichte der Schiffahrt auf Weser und
Mittellandkanal, S. 295 - 325, J:C:C: Bruns Verlag, Minden.
BREMER, H. (1959): Flußerosion an der oberen Weser. In: Göttinger Geograph.
Abhandlung., Selbstverlag d. Geograph. Inst. Gö. l - 191
BUSCHMANN, M. (1988): Landschaftskundliche und faunistische Voruntersuchungen
zur Erfassung des Naturhaushaltes der Weser-Aue - im Hinblick auf ein Pflege-
und Entwicklungsprogramm Diplomarbeit an der Universität-GH-Paderborn, Abt.
Höxter, Lehrgebiet Tierökologie, unveröfftl. l -204.
KELLER, G. (1892): Weser und Ems, ihre Stromgebiete und ihre wichtigsten
Nebenflüsse Bd. 3, - Die Weser von Münden bis Geestmünde, Berlin 1901, S. 197 -
228.
KRÜGER, H. (1930/31): Höxter und Corvey - Ein Beitrag zur Stadtgeographie.
In: Weserzeitung 87 (1930), 2, S. l - 108; Weserzeitung 88 (1931), 2, S. l - 93.
LÖBE, K. (1968): Das Weserbuch - Roman eines Flusses. Verlag CW Niemeymer,
Hameln, S. l - 424.
RÜTHING, H. (1986): Höxter um 1500 - Analyse einer Stadtgesellschaft.
Bonifatius-Verlag, Paderborn, 163 - 170.
SCHEUERMANN, K. und MANGELSDORF, J. (1980): Flußmorphologie - ein Leitfaden
für Naturwissenschaftler und Ingenieure. Oldenbourg-Verlag, S. l - 262.
Anschrift des Verfassers:
Michael Buschmann
Hermannstraße 25 A
3470 Höxter
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