EGGE-WESER 4 (1) 45-61 FESTSCHRIFT
zum 70. Geburtstag von
KURT PREYWISCH
Höxter 1987

 

Uferbewohnende Laufkäfer (Coleoptera: Carabidae) im Weserbergland
(Kreise Höxter und Holzminden)

Bernd Gerken und Otto Barna

Aus dem Lehrgebiet Tierökologie der Universität -GH- Paderborn, Abt. Höxter

Herrn Studiendirektor i.R. Kurt Preywisch
mit allen guten Wünschen zum 70. Geburtstag!

Zusammenfassung: An naturnahen Standorten der Weser- und Nethe-Aue, sowie in Kiesabbaugebieten der Weserniederung (Kreise Höxter und Holzminden, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen) wurden im Rahmen von Voruntersuchungen Bodenfallen-Fänge und Handaufsammlungen an Laufkäfern (Coleoptera: Carabidae) durchgeführt.

Die Fänge belegen landschafts- und naturkundlich bedeutende Standorte, die eine spezifisch angepaßte Laufkäferfauna aufweisen und mit u.a. Bembidion punctulatum, B. fluviatile und Asaphidion caraboides allgemein seltene und bedrohte Arten aufweisen. Wesernahe Hochflutrinnen und nicht rekultivierte Abschnitte in Kiesabbaugebieten werden als besonders schutzwürdig und im Hinblick auf bestehende bzw. geplante fischereiliche und bauliche Eingriffe als besonders schutzbedürftig herausgestellt.

Die in der Nethe-Aue untersuchten Auengehölze genügen nach unseren vorläufigen Befunden mangels ausreichender Fläche nicht zur Ausbildung der für Auen spezifischen Zonationszönosen.

In den durch wasserbauliche und kulturtechnische Maßnahmen der vergangenen Jahrzehnte ökologisch stark verarmten Auengebieten an Weser und Nethe besteht ein beträchtlicher Regenerationsbedarf. Systematische Hilfsmaßnahmen sind zur Sicherung der hochgradig schutzbedürftigen Restbestände ursprünglicher Lebensgemeinschaften und zur weitergehenden Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts erforderlich und möglich.

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Einleitung

Flußauen gehören zu den floristisch und faunistisch reichhaltigsten Ökosystemen Mitteleuropas (EHRENDORFER et al. 1979, GEPP 1986, LfU 1974). Zahlreiche technische Eingriffe vor allem seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts haben die ursprünglich mosaikreichen Lebensräume stark dezimiert und in wenige Teilsysteme mit meist ausgeprägter räumlicher Isolation zergliedert (DISTER 1985, GERKEN & WINSKI 1983, NIEMEYER-LÜLLWITZ & ZUCCHI 1985).

Untersuchungen in Auen am Oberrhein haben gezeigt, daß in diesen Teilsystemen Lebensgemeinschaften hohen Natürlichkeitsgrades bis heute fortbestehen konnten (HEIMER 1983, GERKEN 1980, 1985, SIEPE 1987). Darüberhinaus konnten einige Arten auf Sekundärstandorte in Sand- und Kiesabgrabungen ausweichen (vgl. PLACHTER 1983, SIEPE 1987).

In der vorliegenden Arbeit werden drei Gruppen an Ufer gebundener Laufkäfer- Gemeinschaften im Weserbergland betrachtet, und zwar am Beispiel der "Lake" bei Würgassen, dreier Kiesgruben in der Weser-Niederung bei Höxter und der Nethe-Aue. Die Daten wurden im Rahmen von Voruntersuchungen erhoben. Sie erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit der Erfassung. Da sich jedoch schon jetzt deutliche Hinweise auf die faunistische Bedeutung der Standorte ergeben, soll eine Würdigung im Hinblick auf den Arten- und Biotopschutz, die aktuelle Schutzbedürftigkeit und Möglichkeiten der Biotopverbesserung vorgelegt werden.

Material und Methoden

Die Lage der Untersuchungsgebiete geht aus der Übersichtskarte (Abb. 1) hervor. Die bearbeiteten Standorte liegen in den Kreisen Höxter und Holzminden in der Weser-Niederung ("Lake" bei Würgassen, Weser-km 49; "Axelsee", Weser-km 50,5; Kiesgrube Wehrden / Godelheim, Weser-km 63; Kiesgrube Heinsen, Weser-km 87) und in der Nethe-Aue zwischen Niesen und Godelheim.

Abb. 2a und 2b (S.48/49) geben Einblick in die hydrologischen Verhältnisse im Bereich der "Lake" und der Nethe-Aue. Es handelt sich demnach um Auenstandorte, die alljährlich von Hochwassern erreicht werden. Eine Kurzcharakteristik der untersuchten Standorte wird im folgenden Kapitel gegeben.

Zur Bestandsaufnahme der bodenlebenden Laufkäfer wurden Bodenfallenfänge (Nethe-Aue) sowie Handaufsammlungen ("Lake", Kiesgruben) durchgeführt. Als Bodenfallen wurden Drosophila-Zuchtgefäße mit 5 cm lichter Weite zu 1/3 mit Äthylenglykol-Wasser (1 : 1) beschickt, ebenerdig eingegraben und in etwa 5 cm Abstand mit einem Preßpappe-Dach gegen Regen geschützt. Es wurden vier Probeflächen in der Nethe-Aue mit je sechs Fallen in drei uferparallelen Zonen bestückt und in der Zeit von April bis September 1984 in dreiwöchigem Leerungsrhythmus betreut. Die Fangzonen lagen jeweils 30 cm (= 0), 2,30 m (= 2) und 4,30 m (= 4) von der Uferlinie entfernt in einer ungefähren Höhe über dem mittleren Wasserstand von etwa 15 cm, etwa 1,20 m und etwa 2,30 m. Die geringe Fallenzahl entspricht dem Charakter der Untersuchung als Vorstudie und ist zudem in der sehr engen räumlichen Situation der Nethe-Aue begründet. Hochwässer schlössen etwa sieben Wochen im Mai und Juni von Bodenfängen aus. Die Betreuung der Bodenfallen übernahm dankenswerterweise Herr Dipl.-Ing. Rainer von GOERNE, der im selben Jahr eine umfangreiche Bestandsaufnahme ausgewählter Tierartengruppen ausführte (von GOERNE 1985).

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Abb. 1: Übersichtskarte der besammelten Standorte in der Weser-Niederung
        und der Nethe-Aue

        1 "Lake"/Würgassen (Weser-km 49)
        2 Axelsee/Würgassen (Weser-km 50,5)
        3 Standorte in der Nethe-Aue (bei Siddessen, Erkeln,
          Amelunxen und Godelheim)
        4 Kiesgrube Wehrden/Godelheim (Weser-km 63)
        5 Kiesgrube Heinsen (Weser-km 87)
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Handaufsammlungen wurden in den übrigen Gebieten zu folgenden Zeiten durchgeführt:

Kiesgrube Wehrden/Godelheim April - Juni 1982

Kiesgrube Heinsen Juli/August 1985

Kiesgrube Axelsee (Würgassen) Juli/August 1985

"Lake" bei Würgassen Juni/Juli 1986

Für Durchsicht und Bestimmung einiger Fänge danken wir Herrn W. MARGGI, Thun (Schweiz).

 

Abb. 2a: Niederschläge und Wasserganglinie der Nethe im
         Verlauf von Mai 1983 bis Mai 1984

Beschreibung der Standorte und ihrer Käfergemeinschaft

In der folgenden Beschreibung gehen wir ausführlicher auf die "Lake" ein, um hieran einige wesentliche, allgemeine Charakteristika von Auenstandorten zu erläutern, die auch für die übrigen betrachteten Standorte sinngemäß gelten.

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  Abb. 2b: Hydrologische Daten der Weser im Bereich
           der "Lake" bei Würgassen
      Bei Hochwasserführung in der Weser wird die "Lake"
      alljährlich durchströmt (vgl. MHQW und Niveaulage
      des rechten Weserufers)

Die "Lake" - eine Hochflutrinne der Weser

Unmittelbar unterhalb der Ortschaft Würgassen erstreckt sich auf der rechten Seite der Weser ein stellenweise bis 1/4 km breiter Grünlandstreifen, der in der Regel alljährlich von der Weser überflutet wird und an tieferen Stellen ganzjährig beständige Restgewässer aufweist. Es handelt sich um eine an natürlichen Schwellen und Senken reiche Hochflutrinne, ein naturnahes Landschaftselement der Weser-Aue, in dem von Natur aus Pionierkrautfluren und Auenwälder siedelten. Die Hochflutrinne ist von der ausgebauten Weser durch einen gut 2 m höher

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gelegenen Rücken (97,6 m gegen 95,5 m ü. NN) getrennt. Nach Hochwassern fällt die Hochflutrinne verzögert trocken und große Flächen bewahren das ganze Jahr hindurch, gestützt durch das feine Sediment, eine erhöhte Bodenfeuchte.

Prägender Standortfaktor in Flußauen ist der Wechsel von Hoch- und Niedrigwasser. Er gestaltet mit Anlandung und Erosion alljährlich das Flußsystem um (BREMER 1959).
In weitgehend natürlich erhaltenen Flußsystemen werden die Hochflutrinnen daher mit den Jahren verlagert, wie auch die Hauptrinne innerhalb der Flußniederung in langen Zeiträumen ihre Lage ändert. Die hier siedelnden Tiergemeinschaften spiegeln diese wechselvolle Standort-Eigenart wider, indem Pflanzen- und Tiergemeinschaften der Auen einen kleinräumigen, differenzierten und in Raum und Zeit sich wandelnden Aspekt bieten.
In ausgebauten Flußauen, so auch an der Weser, kommen die gestaltenden Kräfte, wenn überhaupt, durchweg gedämpft zur Wirkung. Die Reste der Hochflutrinnen altern, da die Hauptwasserführung auf ein befestigtes Gerinne konzentriert wurde. Der Alterungsvorgang bedeutet Verlandung, indem ehemals tiefe Standorte mit der Zeit durch vor allem feine Sedimente aufgefüllt wurden. Damit sinkt auch die Vielfalt der offenliegenden Korngrößen, indem die gröberen Fraktionen von den nun ausschließlich bewegten, feineren überdeckt werden.

Die von Natur aus landschaftsprägenden Auenwälder mit Silberweiden, Pappeln, Ulmen, Eschen und Eichen fehlen dem "Lake"-System derzeit vollständig. Das heute ausschließlich als Grünland genutzte Gebiet weist neben Fettwiesen auf den hochgelegenen Rücken ausgedehnte Bestände von Fließwasserröhricht mit Phalaris arundinacea, Glyceria maxima und Butomus umbellatus, sowie Pionierkrautfluren unterschiedlichen Entwicklungsstandes mit Rorippa amphibia, R. sylvestris, Rumex obtusifolius, Barbarea vulgaris, Pulicaria vulgaris, Ballota nigra u.a. auf. In den sehr nährstoffreichen Restgewässern siedeln u.a. die floristisch bemerkenswerten Arten Ceratophyllum submersum und Myriophyllum verticillatum. Eine eingehende floristisch-vegetationskundliche Aufnahme des Gebietes steht allerdings noch aus. Bislang liegt lediglich eine vorläufige Liste der Pflanzenarten vor (BEHLER 1969).

Wie Messungen der Leitfähigkeit der in der "Lake" und der Weser befindlichen Wässer ergeben haben, tritt vom Hochgestade her Grundwasser in die Aue ein, welches zur Aussüßung des nach den Überflutungen in den "Lake"-Gewässern vorhandenen stark salzbefrachteten Weserwassers beiträgt. Mit dieser doppelten Speisung vom Fluß und aus Grundwasser entspricht die "Lake" einer typischen Hochflutrinne mit "Gießen"*). Hierin gründet ihre besondere landschaftskundliche Bedeutung.

Bodenlebende Laufkäfer reagieren sehr empfindlich v.a. auf Bodenfeuchte, Substratstruktur und Lichtzutritt, sowie auf die durch Gelände und Vegetation gebildete Mikrostruktur und das Nahrungsangebot. Die dynamische Bodenbildung und Anlandung driftender Bodenorganismen als potentielle Nahrung begründen die be-

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*) Als "Gießen" bezeichnet man Auengewässer, die während Mittel- und Hochwasser-Zeiten allein von Grund- und Druckwasser gespeist werden und somit sehr klares, meist gleichmäßig kühles (kaltstenothermes) Wasser führen. Bei Hochwasser können sie von Oberflächenwasser durchströmt werden, ohne daß die spezifische Lebensgemeinschaft Schaden leidet. Über den Einfluß der heute meist stark belasteten Wässer (z.B. die hohe Salzfracht der Weser) kann bislang nichts ausgesagt werden.

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   Abb. 3: Strukturtypen im Bereich der "Lake"-Hochflutrinne
           (Würgassen / Weser) und ihre Carabidengemeinschaft
           nach Handaufsammlungen im Sommer 1986
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   Tab. 1: Vorläufige Liste der Carabidae im Bereich
           der "Lake" bei Würgassen/Weser

   1.  Agonum marginatum                      15. Clivina fossor
   2.  Agonum muelleri                        16. Dyschirius globosus
   3.  Agonum viduum                          17. Platynus ruficornis
   4.  Agonum moestum                         18. Platynus obscurus
   5.  Bembidion dentellum                    19. Blethisa multipunctata
   6.  Bembidion varium                       20. Chlaenius nigricornis
   7.  Bembidion semipunctatum                21. Poecilus cupreus
   8.  Bembidion quadrimaculatum              22. Pterostichus strenuus
   9.  Bembidion femoratum                    23. Pterostichus vernalis
   10. Bembidion decorum                      24. Pterostichus anthracinus
   11. Bembidion articulatum                  25. Pterostichus vulgaris
   12. Bembidion biguttatum                   26. Pterostichus nigrita
   13. Trechus quadristriatus                 27. Stenolophus teutonus
   14. Clivina contracta

sondere Bedeutung von Flußauen-Standorten für Laufkäfer. Strukturtypen und ihre Käfergemeinschaft zeigt Abb. 3.

Dies belegt auch unsere vorläufige Artenliste (Tab. 1). Es sind alle typischen Auenboden-Strategen vertreten, wie behende laufende Agonum-, Chlaenius- und Bembidion-Arten und grabende Formen mit verbreiterter Vorderschiene der Gattungen Clivina und Dyschirius. Besondere Erwähnung verdient hier die in Mitteleuropa gefährdete Art Blethisa multipunctata (GEISER 1984). Die Art ist unmittelbar durch den rein technisch orientierten Gewässerbau in Bedrängnis geraten (vgl. RUDOLPH 1976).

Kiesgruben in der Weserniederung

Kiesvorkommen werden in der Weserniederung sowohl im Bereich der Mittel- als auch der Niederterrasse abgebaut. Die bearbeiteten Standorte werden daher bei Hochwassern der Weser mehr oder weniger lange überstaut. Exakte hydrologische Daten liegen uns jedoch noch nicht vor. Sie bilden die wesentliche Voraussetzung für eine eingehendere Analyse des Bestandes und der Ableitung einer Pflege- und Entwicklungsplanung.

Durch den Kiesabbau werden ständig rohe, skelettreiche bzw. lehmig-tonige Kleinstandorte geschaffen. Diese und die oft einige Ar großen Schwemmfächer der Kieswaschanlagen bilden strukturell für Laufkäfer besonders günstige Kleinstandorte. Dabei sind die Uferzonen der ständigen - und in der Regel von Sportfischern genutzten - Gewässer weitgehend vereinheitlicht und auch in Folge der Trittbelastung für Carabiden von eher untergeordneter Bedeutung. Ebene bis mäßig geneigte Flächen mit kleinräumigem Wechsel ephemerer Gewässer und verschiedenen Sukzessionsstadien der Pioniervegetation bildeten die bevorzugten Carabiden-Standorte (Tab. 2). Am Axelsee ist beim Schwemmfächer der Kieswaschanlage eine hochflutrinnenartige Senke entstanden, die im Wechsel der Weser-Wasserführung periodisch überflutet wird und über viele Wochen mehr oder weniger trockenfällt.

Wie für Kiesgruben aus anderen Teilen der Bundesrepublik bekannt, finden sich demnach in den Kiesgruben der Weserniederung naturnahe Sekundärstandorte. Mit dem hohen Anteil grober Körnungsfraktionen erlangen sie besondere Bedeutung

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   Tab. 2: Vorläufige Artenliste der Laufkäfer auf
           Rohboden-Standorten ausgewählter Kiesabbauflächen
    nachgewiesen in den Kiesabbaugebieten
    Wehrden/
Godelheim  
Heinsen Axelsee
  Elaphrus cupreus     *
  Elaphrus riparius     *
  Clivina fossor     *
  Dyschirius aeneus *    
  Dyschirius globosus *    
  Omophron limbatum *    
  Bembidion semipunctatum   * *
  Bembidion dentellum     *
  Bembidion fenoratum *    
  Bembidion fluviatile *    
  Bembidion tetracolum * * *
  Bembidion articulatum * *  
  Bembidion litorale * *  
  Bembidion punctulatun *    
  Bembidion azureszenz *    
  Bembidion 4-maculatum *    
  Chlaenius vestitus * *  
  Agonum marginatum   *  
  Agonum viduum     *
  Agonum moestum   *  
  Agonum sexpunctatum *    
  Platynus ruficornis *    
  Anisodactylus nemorivagus   *  
  Acupalpus meridionalis *    
  Acupalpios flavicollis *    

für Arten, deren ursprünglicher Lebensraum auf den Inseln und Uferzonen entlang der Hauptrinne gelegen sein dürfte (vgl. PLACHTER 1986, SIEPE 1987, NELLES & GERKEN 1987).

Als faunistische Besonderheiten, die wir in den genannten Kiesgruben feststellen konnten, seien hervorgehoben:

- Asaphidion caraboides: größte einheimische Asaphidion-Art auf ebenen, unbeschatteten, sandig-schluffigen, nahezu vegetationsfreien Flächen.

- Bembidion fluviatile: stark gefährdete, recht seltene, dem Bembidion tetracolum: ähnliche Art auf schluffigen Schwemmfächern mit sehr lückiger Pioniervegetation.

- Bembidion litorale: farblich dem braun-rötlichen, von Buntsandstein geprägten sandig-kiesigen Geschiebe angepaßte Art.

- Omophron limbatum: außerordentlich behende laufende, von der Gestalt her an Marienkäfer erinnernde Art sehr feuchter, sandiger Zonen.

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Standorte der Nethe-Aue

Der etwa 45 km lange, dem Eggegebirge entspringende Fluß mündet bei Höxter-Godelheim in die Weser. Im untersuchten Unterlauf schwankt die Nethe um 5 m Breite und kann daher als "kleiner Fluß" bezeichnet werden. Aufgrund seiner Geschiebestruktur, Gefälle, Fließgeschwindigkeit und Fischfauna ist der untersuchte Abschnitt dem Hyporhithral mit einer Gewässergüte um "2" zuzuordnen. Die Nethe ist in die intensiv genutzte Agrarlandschaft eingebettet. Der von Auengehölzen geprägte, periodisch überflutete Uferraum erreicht selten über 10 m Breite.

Die vier Probeflächen befanden sich im Escherfeld oberhalb Siddessen, bei Erkeln, Amelunxen und Haus Brunnen/Godelheim. Es wurden Standorte ausgewählt mit schütterer bis fehlender Bodenvegetation (Deckung der Krautschicht 10 %), lichter Strauchschicht (u.a. Sambucus nigra, Salix purpurea; Deckung um 5 %) und Baumschicht mit Salix fragilis, Alnus glutinosa, Fraxinus excelsior und Hybrid-Pappeln (Deckung 50 - 60 %).

    Abb. 4: Dominanzdiagramme charakteristischer Artengruppen
            der Carabidenfauna in Auengehölzen der Nethe
            (Bodenfänge an vier Standorten in je drei Zonen im
             Abstand von 0, 2 und 4 m vom Mittelwasser-Niveau)
            Erläuterung der Signatur in Tab. 3
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    Tab. 3: Ergebnisse der Bodenfänge in Auengehölzen der Nethe

            Charakteristische Artengruppen und ihre Verteilung
            auf drei Zonen
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Insgesamt wurden 25 Carabiden-Arten in 657 Individuen festgestellt (Tab. 3). Die vier Probestellen werden hier zusammenfassend betrachtet. Zum Vergleich der faunistischen Ähnlichkeit der drei untersuchten Zonen wurden der SÖRENSEN-lndex und die RENKONEN-Zahl (Dominanten- Identität) berechnet. Aus diesen Berechnungen und aus dem anschaulichen Vergleich der Dominanzdiagramme für die drei Zonen ( Abb. 4 ) ergibt sich eine relativ große faunistische Ähnlichkeit. Beim uferfernsten Standort ist der Einfluß der angrenzenden Agrarlandschaft erkennbar. Deutlich wird durch die relativ geringen Anteile von Arten, die in geschlossenen Auenwäldern hohe Dominanzen erreichen (P. assimilis, N. brevicolliss, P. niger, A. micans), daß die Auengehölz-Zonen entlang der Nethe zu schmal sind, um die Entwicklung einer eigenständigen Auenwald-Zönose zu ermöglichen. So belegen die SÖRENSEN- und RENKONEN-Werte die vergleichsweise unvollständige, jedoch für Auen typische Ausbildung von Zonations-Zönosen (vgl. GERKEN 1985), die u.a. im durchweg dominanten Auftreten von Bembidion tetracolum und dem ausgeglichenen Auftreten von Clivina fossor in allen drei Zonen zum Ausdruck kommt.

Diskussion

Die landschafts- und naturkundliche Bedeutung und Schutzbedürftigkeit der "Lake"

Bei der "Lake" handelt es sich um ein sowohl landschaftskundlich als auch biologisch-ökologisch besonders bedeutsames Restgebiet der ehemals ausgedehnten Weseraue. Diese Einschätzung wird durch die gießenartige Ausbildung der Restgewässer und die individuenreichen Bestände der Laufkäfer begründet, sowie durch Vorkommen weiterer seltener Tier- und Pflanzenarten, etwa dem für Nordrhein-Westfalen wohl einzigen Vorkommen des Zarten Hornkrautes Ceratophyllum submersum.

Fischereiliche Eingriffe tragen zu einer aktuellen Gefährdung der in den Gewässern und Uferzonen siedelnden Tiere und Pflanzen bei. Die Hochflutrinnen dienen verschiedenen Fischarten bei mittlerem bis höherem Wasserstand als Laichzone, wobei die überfluteten Uferzonen mit ihrem Kraut- und Röhrichtbestand ein günstiges Unterwasser-Dickicht zum Ablaichen bilden. Später bieten die verbleibenden Gewässer mit reicher Entfaltung von Algen und diversen Wirbellosen (Würmer, Insektenlarven etc.) ein günstiges Aufzuchtmilieu für die Fischbrut.

Die Lebensgemeinschaft der Hochflutrinnen-Gewässer ist demnach ein ebenso charakteristischer Bestandteil der Aue, wie die schütter bewachsenen Pionierkrautfluren der Rohrglanzgras-Röhrichte.

Da Hochflutrinnen zeitweilig im Jahr den Anschluß an die Hauptrinne verlieren, kann bei zu starker Schrumpfung des Restgewässers Sauerstoffmangel eintreten, so daß der Fischbestand dezimiert wird. Aus diesem Grund wurde bisher bei lang anhaltender Trockenzeit im Hochsommer eine Notabfischung vorgenommen. Die Verfasser erlebten diese im August 1986 mit. Sie führte zur Bergung von etwa 30 - 50 großen Brachsen, Karpfen, Rotfedern, Zandern usw., sowie einem geringen Anteil der jungen Stadien. Zu diesem Zweck wurde der Wasserstand in einem Restgewässer stark abgesenkt und sowohl die gesamte Uferzone als auch große Anteile des Gewässergrundes durch das Abfischen intensiv zertreten.

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Nachdem der größte Teil der größeren Individuen geborgen war, waren Uferzone und Gewässergrund massiv durchwühlt und auf dem Schlick und der restlichen Wasserfläche trieben einige Hundert Brütlinge, von denen zahlreiche den Eingriff nicht überlebten.

Der Bergung der größeren Fische steht demzufolge eine massive Belastung des Jungfischbestandes gegenüber und eine drastische Störung bis Zerstörung der Uferzonen und Sohle, die einerseits einen eigenständigen, schutzwürdigen Tierbestand - hier vor allem Laufkäfer und andere Wirbellose - aufweisen, andererseits auch Nahrungsgrundlage der im "Lake"-Restgewässer siedelnden Fische waren.

Aus einer heute geforderten gesamtökologischen Betrachtungsweise ist daher dringend zu fordern, daß derartige Notabfischungen unterbleiben. Sie sind mit dem allgemeinen Feuchtgebietsschutz, der die gesamte Fauna (einschließlich der Fische) und die Flora zu berücksichtigen hat, nicht mehr vereinbar.

Durch weitere Sedimentation ist die vollständige Verlandung der "Lake"-Gewässer im Laufe der Zeit abzusehen. Eine dauerhafte Erhaltung der Gewässer und der Feuchtflächen erfordert die wenigstens teilweise Wiederherstellung der Erosionskraft der fließenden Welle. Voraussetzung für entsprechende Eingriffe sind flächengenaue Bestandsaufnahmen der aktuellen Struktur, der Fauna aus ausgewählten Leitartengruppen (z.B Laufkäfer, Spinnen, Großschmetterlinge) sowie eine Erfassung des aktuellen Abflußgeschehens bei verschiedenen Weser-Wasserständen.

Zustand der Auenlandschaft an Weser und Nethe

Ein Vergleich unserer vorläufigen Artenlisten und der Roten Liste der Carabidae für die BRD (GEISER 1984) ergibt sieben Arten der Gefährdungsstufen "stark gefährdet" und "gefährdet" (Tab. 4). Davon wurden fünf Arten bisher nur an den Sekundärstandorten der Kiesgruben nachgewiesen.

    Tab. 4: Bedeutung naturnaher Auenstandorte und Sekundärstandorte
            im Bereich von Weser und Nethe für gefährdete (3.) bis
            stark gefährdete (2.) Arten

GEISER (1984) schreibt: "Als Rückgangsursache muß neben der weitgehenden Umgestaltung der herkömmlichen Extremstandorte .... insbesondere die fast vollständige Beseitigung von Wildflußlandschaften mit den dazugehörigen, charakteristischen Rohbodenstandorten genannt werden." Im gleichen Sinn äußert sich PAULUS (1980), der als besonders gefährdete Käferarten u.a. die uferbewohnenden Ahlenkäfer der Gattung Bembidion hervorhebt.

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Die Bedeutung der Kiesabgrabungen für Arten- und Biotopschutz

GEISER (1984) äußert in der Roten Liste der Carabiden weiter: "Die wichtigste Funktion aufgelassener Abbaustellen und anderer sekundärer Rohbodenhabitate als Refugium für das entsprechend adaptierte Artenpotential wird in der Landschaftsplanung noch vielfach verkannt." WILDERMUTH & KREBS (1983) gehen ausführlich auf die naturkundliche Bedeutung von Abbaugebieten an Beispielen aus der Schweiz ein und geben umfangreiche Literatur zum Thema an.

Weiterer Ausbau, Nutzung und Folgenutzung der Abbaugebiete bergen in der Tat manches ernste Problem, aber auch manche gute Möglichkeit für wirksamen Artenschutz. Probleme bestehen vor allem in der Abgrenzung und der Folgenutzung der Abbaustellen.

Die Abgrenzung orientiert sich durchweg an der maximalen Abbaufläche. Bei Naßabgrabungen bleibt deshalb nach erfolgtem Abbau nur ein recht schmaler Landstreifen zum angrenzenden Nutzland (meist intensiv bewirtschaftetes Agrarland). Selbst bei bestem Willen kann bei der Rekultivierung aus diesem Randstreifen kaum effizienter Lebensraum für seltene oder bedrohte Arten gestaltet werden. Gerade für die erforderlichen Rohbodenflächen mit ephemeren Gewässern, kleinräumig wechselndem Substrat und Flachuferzonen fehlt es an Raum. Die Wasserfläche der Kiesseen ist für den Artenschutz weitgehend wertlos. Soweit künftig noch Kiesabbaugebiete ausgewiesen werden, sollte das beschriebene Flächenbedürfnis des Naturschutzes von vornherein berücksichtigt werden, indem die Abgrenzung um ein 1/4 bis 1/3 weiter gewählt wird, als die eigentliche - später biologisch weitestgehend verarmte - Abbaufläche umfaßt. Dieser höhere Einsatz muß im Hinblick auf den durch Kiesabbau verursachten, nicht ausgleichbaren Flächenverlust künftig gefordert werden.

     Abb. 5:  Zeitliche Entwicklung (hypothetisch) der Artenzahl
              rohbodenbesiedelnder Laufkäfer bei Kiesabgrabungen
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Die zeitliche Entwicklung der Artenzahl mit Beginn des Abbaus zeigt im Prinzip den in Abb. 5 skizzierten Verlauf. Nur in der Anfangszeit des Abbaus sind die Lebensbedingungen für spezifische Rohbodensiedler günstig, und mit Beginn der Rekultivierung im herkömmlichen Sinn

- Herstellung von Einheitsböschungen
- Abdeckung der Rohböden mit "Muttererde"
- Bepflanzung mit Gehölzen

geht die Artenzahl stark zurück.

Herkömmliche Rekultivierungen, zum "Schließen von Wunden in der Landschaft" wohl gut gemeint, laufen in der Regel den Bestrebungen des Arten- und Biotopschutzes vollständig zuwider (SIEPE 1987). Die schon bestehenden Rekultivierungspläne für die Weserkiesgruben bedürfen dringend der Überprüfung.

So spiegelt die vorliegende - bisher unvollständige - Bilanz der Rote-Liste-Arten genau dieses beklagte Defizit an vegetationsarmen bis -freien Rohbodenstandorten in den naturnahen Resten der Flußauen wider und belegt zugleich die besondere Bedeutung der Kiesentnahmestellen für den Schutz dieser Arten.

Um zu einer verläßlichen Bewertung der noch erhaltenen Auenflächen einschließlich der Sekundärstandorte in Kiesentnahmestellen zu gelangen, bedarf es einer eingehenden Erhebung aller noch vorhandenen Bestände. Eine solche Erhebung fehlt derzeit. Bestandteil dieser Erhebung hätten flächenscharfe Kartierungen der Vegetation, sowie mehrjährige Aufnahmen geeigneter Leitartengruppen zu sein. Die Carabiden bilden hier eine der wichtigsten Indikatorgruppen für das Standortgefüge (Wasserstufen, Substratvielfalt usw.; GERKEN 1987).

Zur Zeit läßt sich nur feststellen, daß es offensichtlich punktuell faunistisch und zönologisch sehr interessante Restbestände der für Auen typischen Carabidenfauna in der für diesen anthropogen stark belasteten Ökosystemtyp heute normalen räumlichen Zersplitterung und standörtlichen Monotonisierung gibt. Wir verfügen immerhin noch über Restbestände, die die Basis für eine Regeneration landschaftstypischer Lebensgemeinschaften bilden können.

Gleichwohl ist die starke Verarmung der Weserniederung und der Auen entlang der Nethe und der entsprechend hohe Regenerationsbedarf hervorzuheben. Auengebüsche und Auenwälder fehlen an der Weser vollständig, an der Nethe sind sie nur kleinräumig erhalten und genügen nicht zur Ausbildung charakteristischer Auenwaldzönosen. In der Weserniederung mit ihren weiten alljährlich überfluteten Wiesen und Äckern besteht ein beträchtliches Flächenpotential, welches verstärkt zur Nutzung als naturnahes Mosaik von Auenbiotopen genutzt werden sollte. Auch an der Nethe bieten sich Möglichkeiten für eine wenigstens lokale Aufweitung des periodisch überfluteten Raumes.

Schließlich ist kaum zu erwarten, daß in Kiesgruben Lebensraum für das gesamte Spektrum der Auenbewohner geschaffen werden kann. Es fehlt die Dynamik des Wasserganges. PLACHTER (1983) stellt fest: "Einem wesentlichen Teil der Kiesbank-Arten gelingt dort in entsprechenden Habitaten zumindest zeitweise die Ansiedlung, andere fehlen in allen bisher hierauf untersuchten Abbaugebieten."

Die Arten, denen eine zeitweise Ansiedlung in den Kiesgruben gelingt, werden nach Einstellung der künstlichen Dynamik, der Freilegung von Rohboden durch Bagger und Raupen, der fortschreitenden Vegetationsentwicklung zu Gebüsch- und Waldstadien weichen. Es wird also auch ohne Rekultivierung früher oder später in Abhängigkeit von Substrat und Wasserstufe zu einer Entwicklung kommen, die der in Abb. 5 skizzierten ähnelt. Diese Entwicklung kann nur durch geeignete periodische Pflegemaßnahmen aufgehalten werden.

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Langfristige Schutzkonzepte erfordern jedoch weniger aufwendige Lösungen, und solche bieten sich mit der Rückbesinnung auf natürliche Abläufe an.

Andernorts wird die Wiederherstellung naturnaher Gerinne und die erneute Nutzung ursprünglicher, zwischenzeitlich ausgedeichter Hochflurflächen diskutiert, projektiert und in Einzelfällen schon erprobt (Neubauleitung 1985, GLITZ 1983, SCHEUERMANN 1983).

Anlaß für derartige Vorhaben sind freilich kaum oder gar nicht Überlegungen des Artenschutzes. Es geht vielmehr um die Sicherung und Wiederherstellung für den Menschen lebenswichtiger Ressourcen:

- Wiederherstellung der Selbstreinigungskraft der Flüsse
- Regeneration des Grundwassers
- Wiederherstellung der Sicherheit vor Hochwassergefahren

Die zuvor allein aus der Sicht des Naturkundlers betrachteten Vorkommen seltener, standortspezifischer Laufkäfer erwiesen sich vor diesem Hintergrund als Bioindikatoren, die u.a. zur Charakterisierung des Wasserhaushalts und der faunistischen Kontrolle von Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen geeignet sind (vgl. HEYDEMANN 1955, THIELE 1977).

Künftige Untersuchungen sollen zeigen, in welchem Umfang die aktuellen Carabidenvorkommen in der Weser- und Netheaue durch Wasserbau- und sonstige kulturtechnische Eingriffe zurückgedrängt sind, und welche Möglichkeiten sich zu nachhaltigem Schutz und zur Regeneration der Bestände bieten.

Schriften

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HEIMER, W. -1983- Auswirkungen von Wasserstandsschwankungen auf Diptera: Brachycera (Insecta) in Naturschutzgebieten der hessischen Rheinaue. - Diss. TH Darmstadt.

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Anschrift der Verfasser:

Prof. Dr. Bernd Gerken 
Dipl.-Ing. Otto Barna

Lehrgebiet Tierökologie
Universität -GH- Paderborn, Abt. Höxter
An der Wilhelmshöhe 44
D-3470 Höxter