EGGE-WESER | 1986 | Band 3 / Heft 3 | 131-143 |
Volker Konrad
Um die Jahreswende 1983/84 hielt sich auf den Kiesteichen bei Holzminden wochenlang eine Ente auf, deren Bestimmung mir (und anderen) erhebliche Schwierigkeiten machte.
Das Beobachtungsgebiet war der größte von vier Kiesteichen am westlichen Stadtrand von Holzminden. Diese Wasserfläche ist etwa 150 m lang und mag an der breitesten Stelle 80 m messen. Sie ist grob rechteckig-oval geformt. Da noch Kies abgebaut wird, ist das Gewässer zumindestens stellenweise sicherlich recht tief. Die Hänge und ein großer Teil der angrenzenden Flächen sind unbewachsen, kahl. Diese Flächen werden beim Abbau rege befahren und als Halde für Kies und Gerät benutzt. Daneben liegt eine größere Müllhalde, teilweise bewachsen und sogar parkartig bepflanzt. Besonders auffällig in dieser Hinsicht ist ein Müllberg (etwa 25 m hoch) am südlichen Ende des großen Teiches, mit Bäumen bestanden. Er ragt weithin sichtbar aus dem sonst flachen Wesertal. Dieses Gebiet liegt etwa 250 m östlich der Weser. Dazwischen liegen Viehweiden.
Im Winter haben wir auf der Weser regelmäßig - je nach Datum und Witterung - unterschiedliche Anzahlen von überwinternden Enten, darunter relativ häufig Tafel- (Aythya ferina) und Reiherenten (A. fuligula). Da die Weser hier über weite Strecken nur gut 50 m breit ist, werden die Vögel oft beunruhigt und aufgejagt. Dann nehmen sie gerne die größeren Kiesteiche als Ausweichflächen und Schlafplätze an.
Am 31.12.1983 beobachtete ich von 13 bis 15,30 Uhr im Gebiet. Auf dem Teich rastete ein gemischter Schwärm von 73 Aythyas (58 Tafel- und 14 Reiherenten). An diesem Tag fiel mir mit dem Leitz 10x40-Trinovid erstmals die bewußte Ente auf. Oberflächlich betrachtet hielt ich sie zunächst für ein Bergenten- ad. (Aythia marila) . Da es ein Einzeltier war und weil Bergenten im Kreis Holzminden ausgesprochen selten sind, widmete ich diesem Vogel nach dem Durchchecken und Durchzählen etwas mehr Aufmerksamkeit - und dann wurde es aufregend. Der Vogel war offensichtlich ein ausgefärbtes , wich aber von allen geläufigen Arttypen ab. Er entsprach in der Zeichnung weitgehend einer Bergente, stimmte aber auch mit dieser Art in zunächst drei notierten Kriterien nicht überein:
1. Der Vogel war nicht größer als die meisten der Reiherenten (Aythya fuligula), aber deutlich kleiner als die meisten Tafelenten (A. ferina).
2. Der Rücken und die Schwingen des schwimmenden Vogels waren grau, schwarz gestrichelt - auf die Distanz von 70-100 m dunkler als bei Tafelenten-, aber heller als bei Reiherenten-. Die Flanken und Bauchseiten waren wie bei Tafelenten- hellgrau, heller als der Rücken, aber nicht so scheinend weiß wie bei Reiher- und Bergenten-.
3. Die Kopfform war nicht rundlich wie bei Bergenten sondern eher tafelentenähnlich, also mit aufragendem Scheitel. Außerdem schien da ein Schopfansatz zu sein. Die Augenfarbe war hell, wahrscheinlich gelb leuchtend, wie bei Reiherenten-.
Mit diesen Ergebnissen hatte ich in Bezug auf alle drei Aythya-Arten (A. ferina, fuligula, marila) Zweifel. Mir fiel nur die nordamerikanische Veilchenente (A. affinis = Lesser scaup) ein, die ich in der Bucht von Vancouver beobachtet hatte. Eine Prüfung anhand der mir zugänglichen Literatur schien diese Art sogar weitgehend zu bestätigen. Nach den amerikanischen Feldführern gab es eigentlich gar keine Zweifel: Größe, Rückenzeichnung, Flankenzeichnung, Kopfform fand ich wie für "meinen" Vogel beschrieben, die herrliche Darstellung in LANSDOWNE & LIVINGSTON "Birds of the Northern Forest" zeigt sogar einen Schöpfansatz.
Natürlich hatte ich auch bezüglich einer Veilchenente starke Zweifel, denn das wäre wohl der erste Nachweis für Europa gewesen, wenn es sich tatsächlich um einen Wildvogel gehandelt hätte. Natürlich mußte ich auch an die Möglichkeit eines Gefangenschaftsflüchtlings denken. Veilchenenten werden aber, soweit mir bekannt, kaum irgendwo gehalten, und der Vogel wirkte genauso "wild" wie die Tafel- und Reiherenten in seiner Gesellschaft. Als dritte Möglichkeit blieb nur ein Bastard. Aber wie häufig beziehungsweise wie selten sind solche Bastarde in Freiheit? Leider war mein Telyt 560 mm gerade zu dieser Zeit in Reparatur. Daher konnte ich kein Belegfoto machen. Mit dem Telyt 250 mm gelangen nur mehrere Gruppenaufnahmen. Wegen der miserablen Lichtverhältnisse war der Einsatz des 2x-Extenders illusorisch.
Am 1.1.1984 von 12,30 bis 14 h konnte ich die Ente wiederum am selben Ort beobachten, diesmal vergesellschaftet mit 62 Tafel- und 14 Reiherenten in einem Pulk. Die am Vortag festgestellten Kennzeichen wurden mit dem Zeiss-Jena-Asiola-23x bestätigt. Besonders interessant waren einige Veilchenenten-Merkmale, die ich nach dem Literaturstudium überprüfen konnte.
1. Die eckige Kopfform und der Schöpfansatz.
2. Das Kopfgefieder leuchtete und glänzte im Licht kupfern und purpurn.
3. Der Vogel hatte einen Reiherenten-Schnabel (hellblau mit dem für diese Art typischen Schattierungen) und einen extrem kleinen Nagel an der Oberschnabel-Spitze.
Leider mußte ich anschließend für eine Woche geschäftlich nach Israel. Deshalb informierte ich den Seltenheits-Ausschuß Niedersachsen (Herrn Dr. Ellwanger, Bremen) und lud zu einer Überprüfung ein. Tatsächlich kamen auch einige Herren (Krott, Hildesheim, und Oosterwyk, Barsinghausen) in meiner Abwesenheit. Wie ich von meiner Frau erfuhr, konnte sie ihnen die Ente zeigen, und die Herren kamen zu dem Schluß, daß es sich um einen Bastard Reiherente x Tafelente (A. fuligula x ferina) handelte. Es gab in den Vorjahren wohl schon einige Beobachtungen solcher Bastarde in Niedersachsen. Anscheinend sind sie nicht so selten, wie ich geglaubt hatte.
Nach meiner Rückkehr am 7.1.1984 war die Ente glücklicherweise immer noch am Ort. An diesem Tag besuchte uns Herr Dr. Ellwanger mit einigen Herren. Gemeinsam gingen wir zunächst noch einmal die Literatur durch. Neben den Darstellungen von Veilchenenten in zahlreichen amerikanischen Werken studierten wir vor allem J. GOODERS "Birds of Ocean and Estuary". Dort wird etwas ausführlicher die Geschichte des "Lesser Scaup Type" 1960 in Sutton Courtenay, Berkshire, beschrieben und ein Foto des Stopfpräparates dieses berühmten Vogels gezeigt. Anschließend wurde der Vogel auf dem Kiesteich begutachtet. Diesmal war er mit 25 Tafelenten zusammen, ohne Reiherenten.
Dabei kamen wir zu dem Schluß, in der Tat einen Bastard Reiherente x Tafelente vor uns zu haben. Ausschlaggebende Kriterien waren:
1. Die Schnabelzeichnung - blaßblau schattiert wie Reiherente, aber nur sehr kleiner Nagel.
2. Der Schöpfansatz - kurz, aber deutlich sichtbar.
Am 8.1.1984 konnte ich den Vogel letztmalig beobachten, vergesellschaftet mit 58 Tafel- und 21 Reiherenten. Am 14.1. fand ich die Kiesteiche für mehrere Wochen zugefroren. Damit war der Vogel verschwunden.
Im nachhinein stellte mir Herr Dr. Ellwanger eine Fotokopie des Wildfowl Trust Annual Report 17 (1966) zu. Darin befindet sich eine ausführliche Beschreibung der bis dahin bekannt gewordenen Individuen von Aythya-Bastarden von GILLHAM, HARRISON & HARRISON "A Study of certain Aythya Hybrids". Mach dem Studium dieser Arbeit bin ich zwar immer noch der Meinung, daß unser Vogel ein Bastard von A. fuligula x A. ferina war - aber nicht sicher! Begründung: Keiner der beschriebenen Vögel stimmt genau mit unserem Exemplar überein. Die Individuen sind offenbar auch bei gleichen Elternarten nicht gleich gefärbt und gezeichnet.
Großes Gewicht wird in der Arbeit von GILLHAM & al. auf die Schnabelzeichnung gelegt. Aber es fehlen die Variationen der Schnabelzeichnung bei der Veilchenente. Auch zeigen die Darstellungen der Reiherentenschnäbel keine Schattierungen. Somit erscheint mir die Arbeit doch recht oberflächlich. Alle Darstellungen der Schnäbel von A. fuligula x A. ferina Bastard- (= Lesser Scaup Types) zeigen eine halbmondartige schwarze Schnabelspitze (Crescent). Und ausgerechnet die hatte unser Holzmindener Vogel nun eben nicht l Soweit es die Entfernung zuließ, fanden wir bei diesem Vogel einen sehr kleinen schwarzen Nagel. Meines Ermessens entsprach diese Zeichnung etwa der der dargestellten A. marila x A. fuligula Bastarde (= Scaup Types), war aber wohl nicht so extrem klein wie in dieser Arbeit für die Veilchenente (A. affinis) dargestellt. Die Richtigkeit dieser Zeichnungen wird aber in dem Artikel selbst angezweifelt!
So bleibt die definitive Bestimmung offen.
(Ganz allgemein waren mir die gängigen Feldführer für europäische Vögel wenig hilfreich. Die amerikanischen Feldführer waren wegen der Darstellungen von Veilchenenten aber wertvoll. Ansonsten zeigten in diesem Falle vor allem die Fotosammlungen ihren Wert, insbesondere auch diejenigen, die außereuropäische Arten zeigten.)
R.ARNHEM: Der große Kosmos-Naturführer - Die Vögel Europas;
A.M.BAILEY & R.J. NIEDRACH: Birds of Colorado. Vol. I;
A.W.BOBACK: Unsere Wildenten;
A.BROOKS: North American Birds. Vol. II;
J.BULL & J.FARREND: The Audubon Society Field Guide to North American Birds Eastern Region;
S.CRAMP &. a.: Handbook of the Birds of Euro-pe the Hiddle East and North Africa. Vol. I;
J.FERGUSON-LEES & a.: The Shell Guide to the Birds;
GILLHAM & a.: A Study of certain Aythya Hybrids;
U.GLUTZ & a.: Handbuch der Vögel Mitteleuropas. Band 3;
W.E.GODFREY: The Birds of Canada;
J. GOODERS: Birds of Ocean and Estuary;
C.J. GUIGUET: The Birds of British Columbia. Vol. 6;
N.HAMMOND & M.EVERETT: Birds of Britain and Europe;
P.HAYMAN & L.SCHIFFERLI: Vögel;
C.KÖNIG: Europäische Vögel. Band 2;
H. KOLBE: Wasservögel in Freiland und Gehege;
J.F.LANSDOWNE & J.A.LIVINGSTON: Birds of the Northern Forest; -
J.MLIKOWSKI & K.BURIC: Die Reiherente;
J.NICOLAI: Fotoatlas der Vögel;
M.OGILVIE: The Wildfowl of Britain and Europe;
R.T.PETERSON: A Field Guide to the Birds;
Ders.: A Field Guide to Western Birds;
M.PFORR & A.LIMBRUNNER: Ornithologischer Bildatlas. Band 1;
C.S.ROBBINS & a.:Birds of North America; W.R.SALT & J.R.SALT: The Birds of Alberta;
P.SCOTT: Das Wassergeflügel der Welt;
E.SOOTHILL & P.WHITEHEAD: Wildfowl of the World; M.D.F.UDVARDY: The Audubon Society Field Guide to North American Birds Western Region.
Anschrift des Verfassers: Volker Konrad, Moltkestr. 6, 3450 Holzminden