EGGE-WESER | 1986 | Band 3 / Heft 3 | 136-138 |
3) Der Wanderfalke in Ostwestfalen-Lippe
Schon in der 600 Jahre alten Manesse- Handschrift wird die Bedeutung der Falknerei erwähnt: Eine der Abbildungen zeigt den Stauferkönig Konradin mit einem Begleiter auf der Falkenjagd. |
Obwohl der Wanderfalke bestimmt schon lange Brutvogel in diesem Raum ist, stammen die ersten Brutnachweise erst aus dem Jahre 1885. Der erste Hinweis auf einen Wanderfalken überhaupt findet sich in den "Lippischen Regesten" Band 4 Nr. 2788. Er stammt aus dem Jahre 1492, wahrscheinlich vom 7. September, und lautet: "Dietrich zu Erwitte an Junker Bernhard zu Lippe: Er sei von einem Freund gebeten, ihm einen "Havik" (Falken) zu verschaffen, der einen "Reyer" fangen könne..., er wolle es durch seine reisigen Dienste ihm treu und willig verdienen." Hierfür kommt von den heimischen Falken nur der Wanderfalke in Betracht. Gleichzeitig liefert dieser Text uns einen Hinweis darauf, daß der Wanderfalke schon seit langer Zeit in Europa als Beizvogel für die Falknerei verwandt wird. Als Edelfalke durften aber nur höhere Adelige ihn führen.
1885 finden sich dann gleich zwei Brüterwähnungen. Eine davon betrifft ein Gelege an den Externsteinen, das vier Eier enthielt. Nachdem eine Zerstörung durch Menschen verhindert werden konnte, wurde das Gelege von Mardern geraubt. In dieser ersten Erwähnung werden bereits die Punkte deutlich, die den Kampf um die Erhaltung des Wanderfalken in unserem Jahrhundert prägen: Zunächst muß der Falke vor den Nachstellungen seines ärgsten Feindes, des Menschen, geschützt werden. Aber selbst wenn das gelingt, treten oft noch natürliche Verluste ein.
Diesen Kampf, eigentlich als Hauptthema für diesen Artikel gedacht, möchte ich im folgenden einerseits an der Geschichte der einzelnen Horste, andererseits aber auch an Beispielen aus Presseartikeln, die die Einstellung gegenüber unseren Greifen verdeutlichen, sowie an gerichtlichem Vorgehen gegen die illegal handelnden Greifvogelfeinde, darstellen.
Das Material darüber konnte ich zum großen Teil der Akte HEINZ KUHLMANNs entnehmen, der den bei seinen vielfältigen und aufopfernden Bemühungen geführten Briefwechsel abheftete. Allgemeineres, zusammenfassendes Material stellte mir Herr Conrads zur Verfügung, Angaben über die Aussprengung des Horstes an der Velmerstot erhielt ich von Herrn Oberförster i.R. Klocke und Herrn Henschel, dem zuständigen Sachbearbeiter beim Regierungspräsidenten in Detmold. Ihnen und allen genannten Helfern bin ich für ihre bereitwillige Unterstützung sehr dankbar!
3.1) Die Geschichte der Wanderfalkenhorste in Ostwestfalen-Lippe:
Aus diesem Raum finden sich für folgende Horststandorte Erwähnungen: Externsteine, Winterberg, Neuenheerse, Rennegrund bei Berlebeck, Kalkofen im Schlüsselgrund, Staatsforst Horn, Staatsforst Schieder, Porta Westfalica, Willebadessen, preußischer Velmerstot. Sämtliche Horste sind natürlich inzwischen verwaist, da der Wanderfalke in unserem Raum seit den späten sechziger Jahren ausgestorben ist.
Über einige dieser Horste finden sich keine, oder nur wenig nähere Angaben in KUHLMANNs Briefwechsel. So wird von dem Horst nördlich von Winterberg nur seine Existenz zu einem unbestimmten Zeitpunkt erwähnt. Der Horst bei Neuenheerse wurde nach dem Krieg ständig ausgeraubt, möglicherweise 1952 zum letzten Male. Aus späteren Jahren finden sich über diesen Horst keine Angaben mehr. Im Staatsforst Horn wurden nur 1937 bis 39 je zwei Horste festgestellt. 1951 schrieb Kuhlmann, eine Brut habe hier seit Jahren nicht mehr stattgefunden. Dabei dürften ihm Bruten nach Kriegsende in dieser Gegend, die er gut kannte, sicherlich aufgefallen sein. Ähnlich liegt der Fall im Staatsforst Schieder, wo ebenfalls 1937 und 39, vielleicht auch 1938 je ein Wanderfalke horstete, der nach dem Kriege verschwunden war. Für den Schlüsselgrund zwischen Horn und Kohlstätt wird nur 1952 ein unbestätigter Brutverdacht erwähnt. Der Horst an der Porta Westfalica wurde 1952 verlassen. 1951 wurde erwähnt, daß unter Umständen eine unbekannte Zahl an Jungen zum Ausfliegen gekommen sei, was auch in dieser vagen Form einer Sensation gleichkam. Ebenfalls 1951, im Frühjahr, erschien in der Westfalenzeitung Höxter ein Artikel "Am Fangseil über īm Falkenhorst", der die Besteigung des Porta-Horstes (am Jakobsberg) durch einen Reporter beschreibt. Dem Artikel ist u.a. zu entnehmen, daß der Horst 1949 und 50 geplündert wurde, daß die Falken jedoch an unbekannter Stelle eine Ersatzbrut erfolgreich ausführen konnten.
Die Nähe des Menschen mied der Wanderfalke durchaus nicht: Auch am Kalkofen im Schlüsselgrund soll er gehorstet haben. Foto: E. Aufderheide
Dies wird auch von Ornithologen bestätigt. Kuhlmann wies die Redaktion der Zeitung darauf hin, daß es gerade von Leuten, die die Gefährdung des Falken erkannt haben, unverantwortlich sei, die Tiere durch eine massive Störung im Horstbereich zu gefährden. Der Horst war schon 1952 als einer der ersten verwaist. Die Gefährdung durch fanatische Brieftaubenzüchter, die die Aushorstungen 1949/50 durchgeführt hatten, war natürlich in solcher Nähe menschlicher Siedlungen, die der Wanderfalke durchaus nicht meidet (er hat sogar auf dem Kölner Dom gehorstet), besonders groß. Daß es ihm gelang, einen ungestörten Platz für eine Ersatzbrut zu finden, zeigte, daß die Brieftaubenzüchter noch nicht so gut organisiert waren wie in späteren Jahren, in denen es ihnen gelang, selbst versteckte Horste aufzuspüren und selbst gesicherte Horste zu zerstören.
Abb. fehlt! |
Kalksteinbrüche gehörten zu den bevorzugten Horstplätzen des Wanderfalken. Foto: E. Aufderheide |
Eine solche gut organisierte Horstplünderung war bereits 1951 am Hirschstein bei Willebadessen festzustellen. Dort mußte Revierförster BACKHAUS, der sich intensiv um die Erhaltung "seiner" Falken bemühte, feststellen, daß der Horst wie in den Vorjahren zerstört worden war. Diesmal waren zwei Männer aus Warburg mit einem Motorrad angereist und hatten die zwei Eier "entfernt". 1946 war an diesem Horst zum letzten Male ein Junges ausgeflogen. Trotzdem hielten sich die Falken mindestens bis 1953. Nach dem Eierraub 1951 begannen Förster Backhaus und H. Kuhlmann mit dem aktiven Horstschutz: Eine neue, günstigere Horstnische wurde in den Fels gehauen, die Horstplätze wurden mit militärischem Stacheldrahtverhau unzugänglich gemacht. Trotzdem kamen auch in den nächsten Jahren keine Jungen zum Ausfliegen: 1952 wurden die Jungen, 1953 die Eier von Mardern geraubt, und auch 1954 verschwand das einzige Ei, ohne das die Altvögel ein Nachgelege zeitigten. Daraufhin erstellte BACKHAUS wiederum eine neue Horstnische, die die Marder abhalten sollte. Darüber hinaus richtete er 1956 eine Dauerbewachung ein, die er zusammen mit seinem Forstgehilfen H. Powalla durchführte. Erst diese Dauerbewachung machte es möglich, die Falkenfeinde von einer Zerstörung des Horstes abzuhalten und so kam es tatsächlich in diesem Jahr zu der ersehnten Sensation:
Erstmals seit zehn Jahren kamen am Hirschstein wieder junge Wanderfalken zum Ausfliegen, und zwar gleich zwei Stück. Der Aufwand einer e l f wöchigen Dauerbewachung hatte sich gelohnt. Trotzdem folgte 1957 die große Enttäuschung: Nachdem das Falkenpaar nur ein Ei gelegt hatte, gab es dessen Bebrütung am 24.5. auf, ohne daß ein Junges geschlüpft oder die Brut gestört worden war.
DAS LETZTE WANDERFALKENVORKOMMEN IN DER EGGE WAR DAMIT ERLOSCHEN.
Für den Kalksteinbruch am Rennegrund bei Berlebeck gibt es, wie für die Horste in den Staatsforsten Horn und Schieder, Brutnachweise für die Jahre 1937 bis 39. Die erste Horstmeldung nach dem Kriege stammt hier aus dem Jahre 1951. 1952 wurde der Ort wieder als Brutplatz erwähnt, jedoch äußerte KUHLMANN Zweifel an der Richtigkeit der Meldung. Für die Jahre 1953 bis 55 finden sich keine Brutmeldungen, jedoch ist auffällig, daß für 1956 wieder Brutverdacht bestand. Da der Wanderfalke, wie schon aus den angeführten Beispielen hervorgeht, sehr ortstreu ist, ist ein solches sporadisches Brutvorkommen unwahrscheinlich, wenn es sich nicht um einen Ausweichbrutplatz gehandelt hat. Sonst ist anzunehmen, daß entweder die Brutverdachtsmeldungen falsch waren, oder der Falke auch in den anderen Jahren zu brüten versucht hat.
Ein Ersatzbrutplatz für anderswo gestörte Falken war das NSG Externsteine 1951. Nachdem nach dem ersten Brutnachweis unseres Raumes 1885 keine weitere Bruterwähnung mehr erfolgt war (außer 1886), konnte in diesem Jahr wieder ein Brutversuch festgestellt werden, jedoch wurde das Gelege, das sich am Bärenstein auf der Erde befand, von Krähen zerstört. Es handelte sich wahrscheinlich um ein Ersatzgelege für das an der Velmerstot zerstörte. Auch 1952 wurde ein Gelege am Bürenstein festgestellt, jedoch wurde das Gelege wiederum geraubt, wobei KUHLMANN nicht erwähnt, ob von Mensch oder Tier.
Wohl am härtesten wurde der Kampf um den Wanderfalken beim Horst am preußischen Velmerstot im NSG Silberort geführt. Hier bemühten sich neben Heinz Kuhlmann auch der zuständige Förster, Herr Oberförster KLOCKE und dessen Vorgesetzter vom Forstamt Altenbeeken (heute Paderborn), Herr HAVESTATT, sehr um die Erhaltung des Horstes, der 1954 in der wohl spektakulärsten Vernichtungsaktion der Brieftaubenzüchter ausgesprengt und damit endgültig zerstört wurde.
Dabei scheint der Horst am (oder "an der") Velmerstot erst relativ spät entstanden zu sein. Wie Herr SUFFERT vom Landesamt für Naturschutz in Lippe 1939 brieflich mitteilte, sei der Horst noch "neu". So sei er 1937 noch nicht beflogen gewesen, während über 1938 keine Angabe zu machen sei. Es ist also anzunehmen, daß der Falke hier 1939 erstmals horstete. In den folgen Kriegsjahren wurde ihm kaum Aufmerksamkeit geschenkt: Die meisten Taubenzüchter waren eingezogen man hatte andere Sorgen, als einen Falken, der als "Freßfeind" der Tauben kaum auffiel.
Anders nach dem Kriege. In der Hungerszeit machte sich der Falke schon bemerkbar, wenn er nur wenige Tauben schlug. Außerdem schrieb man ihm gerne Verluste zu, deren Ursache nicht genau festzustellen war. So mußte Oberförster Klocke 1951 in einem Brief an KUHLMANN feststellen: "Unser Falco peregrinus wurde seit 1945 in jedem Jahre ausgehorstet. Meine Assistenten und ich werden uns die größte Mühe geben, daß es nicht wieder passiert." - es sollte wieder passieren. Nachdem eine Anzeige gegen 4 Jugendliche, die im Mai 1950 den Horst geplündert hatten, nicht zu deren Ergreifung führte, obwohl eine Belohnung von DM 50,- ausgesetzt worden war, verschwand am 30. 5. 1951 das einzige Junge aus dem Horst. KLOCKE äußerte die Ansicht, es sei mit einem Kleinkalibergewehr erlegt worden, da er den Horst mit Stacheldraht unzugänglich gemacht hatte. ("Ich war ja Spezialist dafür, noch von 1918").
Nach diesem Mißerfolg, der die ganze Ohnmacht der Vogelschützer gegen die gezielt vorgehenden Taubenzüchter hatte offenbar werden lassen, machte KLOCKE den Vorschlag, die Horstmulde zu verbauen, um den Falken zu zwingen, sich einen anderen, besser geeigneten Brutplatz zu suchen und KUHLMANN stimmte ihm zu: Ohnmacht, Kapitulation vor einem Feind, den zu bekämpfen eigentlich nicht Sache von Idealisten, sondern Aufgabe des Staates war, da sein Handeln in ständigen Gesetzübertretungen lag, die er nicht nur heimlich beging, sondern zu denen er auch noch öffentlich in Zeitschriften auffordern konnte. Die Mulde wurde nicht verbaut. 1952 versuchte der Falke wieder zu brüten. Diesmal legte das Weibchen nur zwei Eier, von denen eines faul war. Der geschlüpfte Jungvogel fiel mit zwei Wochen im Mai 1952 aus dem Horst.
Die sinkende Fruchtbarkeit, wie sie hier zu beobachten ist, war allgemein festzustellen. So schrieb Dr. C. DEMANDT, der sich ebenfalls sehr um den Wanderfalken in Westfalen bemühte und auch wissenschaftliche Beiträge zu allen Aspekten des Greifvogelschutzes lieferte, im Journal für Ornithologie Nr. 94, in ganz Westfalen sei ein Rückgang der durchschnittlichen Gelegegrößen festzustellen. Er beobachtete bei einem von ihm ständig kontrollierten Brutpaar, bei dem es keine Anzeichen für einen Wechsel der Partner gab, einen Rückgang von durchschnittlich 4 Eier in den Kriegsjahren auf zwei 1946/47, Null in den Jahren 1948/49 und eines 1950, wobei dieses unbefruchtet war. 1951 blieb das nun sehr alte Weibchen aus. Die Ursache für die allgemein abnehmende Eizahl lag offensichtlich in einer starken Überalterung des Bestandes. Nachdem seit Kriegsende nur an 1 - 2 Horsten je einmal Junge ausgeflogen waren, war kaum Nachwuchs im Bestand vorhanden. Die immer älter werdenden Paare, in denen kein Partner von einem jüngeren oder stärkeren abgekämpft worden war, waren nicht nur weniger fruchtbar, sie brachten auch weniger Nachgelege zustande. Im Jahre 1953 kam es im Silberort zu keiner Brut, da das Revier nur von einem Wanderfalken beflogen wurde. Über den Verbleib des anderen und über die Herkunft des zweiten Partners im nächsten Jahr ist natürlich nichts bekannt. 1954 lebten die Hoffnungen wieder auf: Die Wanderfalken waren wieder da und hatten die alte Horstnische nochmals bezogen.
Direkt an dem vielbegangenen Klippenweg spielte sich hier 1954 eine Tragödie ab: Der Sandsteinbruch "Silberort" an der Ostseite der preußischen Velmerstot. Foto: E. Aufderheide
Es sollte das letzte Mal sein: Obwohl Oberförster Klocke und seine Helfer den Horst sehr oft und unregelmäßig kontrollierten, um Störungen fernzuhalten und Horsträuber abzuschrecken, kam es am 7. 4. 1954 zu einem Ereignis, an das Förster Klocke sich heute erinnert: "Es war im April 54, schon am Spätnachmittag. Ich war gerade an der Försterei unten in Sandebeck, als ich von der Velmerstot einen unwahrscheinlichen Knall hörte, es klang wie großer Donner. Ich lief dann hinauf und sah, was passiert war: Ein großer Felsblock war aus der Horstwand herausgesprengt. Ich glaube, er wog etwa 80 bis 90 Zentner, Sie können ihn heute noch da liegen sehen."
KUHLMANN entdeckte die Zerstörung am 11. 4. bei einem Kontrollgang. Er stellte fest, daß der Stacheldraht oberhalb des Horstes heruntergetreten war und fand einige Trittsiegel. Vermutlich hatten die Horstzerstörer, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit aus Kreisen der Taubenzüchter stammten, sich an den Horst abgeseilt und den Felsvorsprung, auf dem sich der Horst befand, unterhöhlt und dann abgesprengt.
Die untere Naturschutzbehörde Höxter stellte für die sofort eingeleitete Fahndung nach den Tätern eine Belohnung von DM 200,- zur Verfügung. Es gingen nur wenige Hinweise aus der Bevölkerung ein, die die Täter weitgehend deckte. Drei Taubenzüchtern, einer aus Scherfede und zwei aus Horn, konnte die Tat nicht nachgewiesen werden, obwohl begründeter Verdacht bestand und vermutet wurde, daß sie auch für die Aushorstungen in Willebadessen und Neuenheerse verantwortlich waren.
Somit blieb auch dieser spektakulärste und hinterhältigste Schlag gegen den Wanderfalken unbestraft.
Anschrift des Verfassers: Enno Aufderheide, Alte Landstraße 27, 7400 Tübingen 2