EGGE-WESER 1985/01 Band 3 / Heft 1 8-19

Beitrag zur Flora der Dörfer im Kreis Höxter

Uwe Raabe

Als "Dorfpflanzen" kann man eine Reine von Arten bezeichnen, die für die ursprünglich vorwiegend landwirtschaftlich geprägten Dörfer mehr oder weniger charakteristisch sind. Die meisten dieser Arten sind in ihrem Vorkommen zwar nicht ausschließlich auf Dörfer beschränkt, doch sie waren zumindest früher in den meisten Ortschaften anzutreffen und hatten hier sicherlich immer einen gewissen Verbreitungsschwerpunkt. Auf Höfen, an Wegrändern, Hecken und Mauern, auf Schutthaufen, an Jaucheabflüssen und Dunghaufen, in Obstwiesen und Gärten, in den Fugen und auf den Kronen alter Mauern und an anderen Stellen fanden sie geeignete Standorte.

Viele dieser einst so typischen Dorfpflanzen sind in den letzten Jahren zurückgegangen, manche sind selten geworden oder sogar ganz verschwunden. Die Ursachen sind vielfältig, liegen insbesondere in der zunehmenden Verstädterung und Sanierung der Dörfer, z. B. Überbauung und Versiegelung der Standorte, Beseitigung der alten Mauern, Ausbringen von Herbiziden usw. Einen nicht unwesentlichen Beitrag zum Verschwinden der charakteristischen dörflichen Vegetation hat leider der Wettbewerb "Unser Dorf soll schöner werden" geleistet (vgl. z.B. BERGMEIER 1983, LIENENBECKER 1984. a+b).

Lange Zeit wurde die Flora und Vegetation des besiedelten Raumes auch von den Botanikern vernachlässigt und wenig beachtet. Erst in den letzten Jahren wird ihr verstärkt Aufmerksamkeit gewidmet.

Angeregt durch eine 1982 begonnene Erfassung von Dorfpflanzen in Hessen (SCHNEDLER 1982) und in der Gemeinde Kalletal im Kreis Lippe (BERGMEIER 1983), stellte die Geobotanische Arbeitsgemeinschaft des Naturwissenschaftlichen Vereins in Bielefeld im Frühjahr 1983 eine Liste mehr oder weniger charakteristischer Dorfpflanzen zusammen.


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Nachdem im Sommer 1983 bereits zahlreiche Dörfer vor allem im ostwestfälischen Raum kartiert wurden, erfolgte eine Überarbeitung des Erfassungsbogens. Als Projekt der Arbeitsgemeinschaft für biologisch-ökologische Landeserforschung (ABÖL) wurde die Kartierung auf ganz Nordrhein-Westfalen ausgedehnt (Vgl. LIENENBECKER 1984a).

Im Kreis Höxter wurden bisher 3 Dörfer "intensiv" durchforscht: Dalheim (E. HELDT, Warburg), Ottbergen (W. STICHT, Paderborn) und Rösebeck (E. HELDT).

35 Dörfer wurden "flüchtig durchforscht", d. h. es fand in der Regel eine einmalige Begehung der Dörfer zur Hauptvegetationszeit statt, bei der versucht wurde, die Flora des gesamten Dorfes - einschließlich seiner Randbereiche - bezogen auf den Erfassungsbogen möglichst vollständig zu kartieren. Die eine oder andere Art wurde dabei sicherlich übersehen, im wesentlichen dürfte die Flora aber erfaßt sein: Borlinghausen, Born, Bremerberg, Calenberg, Daseburg, Drankhausen, Dringenberg, Eilversen, Frohnhausen, Großeneder, Haarbrück, Hembsen, Herlinghausen, Herste, Herstelle, Himminghausen, Holzhausen, Jacobsberg, Kühlsen, Manrode, Natzungen, Kiesen, Nörde, Oeynhausen, Pömbsen, Rheder, Rimbeck, Rothe, Siddessen, Tietelsen, Vörden, Wehrden, Welda, Wormeln, Würgassen. Außerdem die Burgruine auf dem Desenberg bei Warburg.

In den Verbreitungskarten wurden auch einige Dörfer im unmittelbar angrenzenden Hessen berücksichtigt: Ammenhausen, Dehausen, Hörle, Ostheim, Wethen (Geobot. AG) und Zwergen.

"Zufallsbeobachtungen" bzw. "Stichproben" liegen vor für die Dörfer Lüchtringen und Reelsen sowie für das ehem. Kloster Hardehausen ( R. WOLFF-STRAUB, Düsseldorf).


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Soweit nicht anders angegeben wurden die Dörfer vom Verfasser kartiert.

Es sei darauf hingewiesen, daß in Nordrhein-Westfalen seit 1980 eine ähnliche Kartierung durch WITTIG & RÜCKERT (in Vorbereitung) durchgeführt wird, die allerdings die Erfassung der gesamten Flora (und Vegetation) ausschließlich der öffentlich zugänglichen Flächen im Bereich der zusammenhängenden Bebauung beinhaltet. Erste Ergebnisse veröffentlichte WITTIG (1984). Im Kreis Höxter wurden dabei nach WITTIG (Schriftl. Mitt.) folgende Dörfer kartiert: Bödexen, Calenberg, Erpentrup, Hembsen, Himmighausen, Merlsheim, Muddenhagen, Pömbsen, Willebadessen und Würgassen.

Die Zahl der in den 38 "intensiv" bzw. "flüchtig durchforschten" Dörfern des Kreises Höxter festgestellten Arten des Erfassungsbogens ist sehr unterschiedlich. Die artenreichsten Dörfer liegen in der Wesertalung, im Diemelgebiet und an der Nethe. Artenärmer sind z. B. die Dörfer im nördlichen Kreis Höxter. Hier wird bereits deutlich, daß die Flora der Dörfer des Kreises Höxter durchaus nicht einheitlich ist. Das ist z. B. auf die unterschiedliche Höhenlage der Dörfer (Wehrden ca. 95 m NN, Lüchtringen ca. 90 m NN, Haarbrück ca. 340 m NN) und ihre Lage in verschiedenen Naturräumen zurückzuführen.

Die charakteristische dörfliche Flora ist aber nicht nur von den natürlichen Voraussetzungen abhängig, sondern in besonderem. Maße auch von der "Ursprünglichkeit" der Dörfer. In besonders "sauberen", "ordentlichen" Siedlungen ist für die einst so typische Flora meist kein Platz mehr.

Zu den artenreichsten und interessantesten bisher kartierten Dörfern im Kreis Höxter gehört der Ort Hembsen zwischen Brakel und Ottbergen, wo über 60 Arten aus dem Erfassungsbogen notiert werden konnten.

Zu den "klassischen" Dorfpflanzen gehören die Arten der nitrophilen Ruderalfluren an Wegrändern, Hecken, Schutthaufen, am Fuße alter Mauern usw..


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Die in anderen Teilen Westfalens bereits deutlich zurückgegangene Wegmalve,Malva neglecta, wurde im Kreis Höxter ebenso wie die gern mit ihr vergesellschaftete Kleine Brennessel, Urtica urens, und das Schöllkraut, Chelidonium majus, noch in den meisten Dörfern angetroffen. Die Wilde Malve, Malva sylvestris, ist im Kreis Höxter dagegen deutlich seltener als die Wegmalve.

Die Schwarznessel, Ballota nigra ssp. nigra, ist in den Dörfern des Wesertals, an Diemel und Nethe sowie in der Warburger Börde noch recht häufig, tritt in anderen Bereichen dagegen deutlich zurück. Größere Bestände finden sich auch noch an der Burg Desenberg bei Warburg und an der Kugelsburg bei Volkmarsen im angrenzenden Hessen.

Der Gute Heinrich, Chenopodium bonus-henricus, wurde im Kreis Höxter ebenfalls noch in vielen Dörfern angetroffen. Oft waren es ebenso wie bei den übrigen Arten nur noch Einzelexemplare, seltener größere Bestände, so z. B. in Dringenberg und Herlinghausen.

Der Gefleckte Schierling, Conium maculatum, wurde dagegen nur noch in fünf Dörfern, in Dalheim, Daseburg, Hembsen, Jacobsberg und Welda, außerdem an der Burg Desenberg und an der Kugelsburg notiert. In Hembsen und Oeynhausen, ferner in Hörle im angrenzenden Kreis Waldeck-Frankenberg ist das Herzgespann, Leonurus cardiaca, noch jeweils an einer Stelle in wenigen Exemplaren vorhanden. Bemerkenswert ist, daß diese Art für Hembsen nach RUNGE (1972) bereits von JÜNGST (1837) angegeben wurde. Seitdem wurde das Vorkommen anscheinend nicht mehr bestätigt.

Das Schwarze Bilsenkraut, Hyoscyamus niger, das in Westfalen heute nur noch selten anzutreffen ist, fand sich in einem Exemplar auf dem Friedhof in Wormeln, in wenigen Pflanzen an der Burg Desenberg und zahlreich an der Kugelsburg. Die Katzenminze, Nepeta cataris, konnte nur noch an den beiden genannten Burgruinen entdeckt werden.


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Der Gemeine Andorn, Marrubium vulgare, kommt in den Dörfern des Kreises Höxter heute wohl nicht mehr vor.

Zu den typischen Dorfpflanzen gehören auch einige Arten, die früher in den Bauerngärten zum Beispiel als Heil- and Gewürzpflanzen kultiviert wurden und meist nur noch verwildert zum Beispiel an Hecken und Mauern anzutreffen sind. Eine im Kreis Höxter häufig notierte Art ist der Meerrettich, Armoracia rusticana. Seltener ist die Nachtviole, Hesperis matronalis. Wermut, Artemisia absinthium, wurde noch - meist in kleinen Beständen - in Kühlsen, Pömbsen, Tietelsen und Ostheim im angrenzenden Hessen notiert. Die Osterluzei, Aristolochia clematitis, ist in Westfalen sehr selten geworden. In der Nähe der Kirche in Daseburg konnte sich erfreulicherweise bis heute ein größerer Bestand behaupten.

Eine andere Gruppe von Arten ist besonders charakteristisch für die Unkrautgesellschaften der Gärten und Friedhöfe. Gern wachsen sie aber auch auf Bodenaushub, Erdhügeln, Schutthaufen und anderen offenen Plätzen. Die Arten sind in Westfalen meist noch häufig und verbreitet anzutreffen, so zum Beispiel die Garten-Wolfsmilch, Euphorbia peplus, oder der Weiße Gänsefuß, Chenopodium album. Bemerkenswert ist, daß das Behaarte Knopfkraut, Galinsoga ciliata, im Kreis Höxter in fast allen Dörfern festgestellt wurde, das Kleinblütige Knopfkraut, Galinsoga parviflora, dagegen nur in wenigen. Diese Art scheint in Westfalen in den Dörfern des Tieflandes häufig zu sein, im Bergland dagegen deutlich zurückzutreten.

Das im Bereich des Hellweges in vielen Dörfern anzutreffende Einjährige Bingelkraut, Mercurialis annua, wurde im Kreis Höxter nur in Nörde notiert. In einem Garten in Rimbeck wurde der in Westfalen sehr selten gewordene Unechte Gänsefuß, Chenopodium hybridum, in geringer Menge beobachtet.

Auch die Arten der Trittpflanzengesellschaften gehören zu den typischen Elementen der dörflichen Flora. Hierzu gehört zum Beispiel das im Kreis Höxter noch in fast allen Dörfern notierte Gänse-Fingerkraut, Potentilla anserina, oder das seltenere Eisenkraut, Verbena officinalis.


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Die Vegetation der dörflichen Mauern ist vor allem durch verschiedene Farne gekennzeichnet. Am häufigsten ist im Kreis Höxter die Mauerraute, Asplenium ruta-muraria, anzutreffen. Viel seltener sind der Braunstielige Streifenfarn, Asplenium trichomanes, und der Zerbrechliche Blasenfarn, Cystopteris fragilis, die beide etwas feuchtere Standorte zu bevorzugen scheinen. Auffällig selten wurde der Tüpfelfarn, Polypodium vulgare, notiert: in Dringenberg, Hembsen, Ottbergen, Rheder, den drei Dörfern an der Weser, Herstelle, Wehrden und Würgassen, und am ehemaligen Kloster Hardehausen. Besonders bemerkenswert sind ein Vorkommen der Hirschzunge, Phyllitis scolopendrium, an einer Mauer in Himmighausen (ca. 16 Ex.) und eines des Ruprechtsfarns, Gymnocarpium robertianum, in Rösebeck "an einer alten Hausmauer über der Miste" (HELDT).

Das Zimbelkraut, Cymbalaria muralis, wächst gern in den Mauern alter Schlösser, Klöster und Gutshöfe.

Auf den Kronen der alten Mauern finden sich ebenfalls gelegentlich einige bemerkenswerte Pflanzen. So in Vörden, Würgassen und Natzungen das Silber-Fingerkraut, Potentilla argentea, und in Wormeln und Hembsen der seltene Finger-Steinbrech, Saxifraga tridactylites. Zu den Seltenheiten der westfälischen Flora gehört das Florentiner Habichtskraut, Hieracium pilloselloides, das noch auf Mauern in Wormeln und am ehemaligen Kloster Hardehausen wächst.

Abschließend sei noch auf drei weitere besonders bemerkenswerte Pflanzen hingewiesen, die im Rahmen der Erfassung der Dorfflora notiert wurden. Am Rande eines Hühnerhofes in Würgassen fand sich das in Westfalen sehr seltene Niederliegende Fingerkraut, Potentilla supina; am Weserufer in Wehrden ein einzelnes Exemplar des selten gewordenen Kleinen Flohkrautes, Pulicaria vulgaris. In Lüchtringen wächst noch heute das bereits von KARSCH (1853) angegebene Aufrechte Glaskraut, Parietaria officinalis, in einem kleinen Bestand. Im unmittelbar angrenzenden Niedersachsen konnte diese Art 1984 auch noch in Brevörde bestätigt werden, wo sie noch heute in einem großen Bestand vorkommt.


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Literatur

Foerster, E., W. Lohmeyer, W. Schumacher & R. Wolff-Straub (1982): Florenliste von Nordrhein-Westfalen. - Schriftenreihe LÖLF NW 7.

Bergmeier, E. (1983): Bemerkungen zum Rückgang der Dorfflora am Beispiel der Gemeinde Kalletal (Kr. Lippe). - Natur und Landschaft 58, S. 330 - 332.

Braun-Blanquet, J. (1964): Pflanzensoziologie. - Wien

Heldt, E. (1982): Krautweihe im Warburger Land. - Hardehauser historische Beiträge X. - Paderborn.

Jüngst, L. V. (1837): Flora von Bielefeld, zugleich die Standorte der seltneren Pflanzen im übrigen Westfalen enthaltend. - Bielefeld und Herford.

Karsch, A. (1853): Phanerogamenflora der Provinz Westfalen. - Münster.

Lienenbecker, H. (1984 a): Aufruf zur Mitarbeit an botanischen Kartierungsprogrammen. -GNS-Info 1/84, S. 7 - 9.

Lienenbecker, H. (1984 b): Erschreckende Bilanz. Die alte Dorf-Flora ist nahezu vernichtet. - Heimat-Jahrbuch Kreis Gütersloh 1985, S. 96 - 99.

Runge F. (1972): Die Flora Westfalens. - Münster.

Schnedler, W. (1982): Leitfaden Floristische Kartierung in Hessen. - Gießen.

Wittig, R. (1984): Sterben die Dorfpflanzen aus? - Der Gemeinderat 27, Nr. 6, S. 36 - 37.


Anschrift des Verfassers:
Uwe Raabe, Holtfeld 43, 4807 Borgholzhausen


Tabelle 1

Häufigkeit einiger charakteristischer Dorfpflanzen im Kreis Höxter in Stetigkeitsklassen (in Anlehnung: an BRAUN-BLANQUET 1964) (58 Dörfer = 100%)

Stetigkeitsklasse V (81 - 100 %)

Aethusa cynapium; Armoracia rusticana; Onelidonium majus; Euphorbia peplus; Galinsoga ciliata; Malva neglecta; Potentilla anserina; Urtica urens.

Stetigkeitsklasse IV (61 - 80 %)

Arctium minus; Asplenium ruta-muraria; Chelidonium majus; Euphorbia peplus; Galinsoga ciliata; Malva neglecta; Potentilla anserina; Urtica urens.

Stetigkeitsklasse III (41 - 60 %}

Ballota nigra; Chenopodium bonus-henricus; Chenopodium polyspermum; Cystopteris fragilis; Hesperis matronalis; Malva sylvestris; Verbena officinalis.

Stetigkeitsklasse II (21 - 40 %)

Arctium tomentosum; Asplenium trichomanes; Carduus crispus; Galinsoga parviflora; Lactuca serriola; Oxalis corniculata; Oxalis europaea.

Stetigkeitsklasse I (1 - 20 %)

Aristolochia clematitis; Artemisia absynthium; Bryonia dioica; Chenopodium hybridum; Conium maculatum; Cymbalaria muralis; Datura stramonium; Hyoscyamus niger; Leonurus cardiaca; Potentilla argentea; Polypodium vulgare; Saponaria officinalis; Saxifraga tridactylites.


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