EGGE-WESER | März 1983 | Band 2 / Heft 1 | 16-23 |
Lebensweise und Verbreitung von Siebenschläfer und Haselmaus
im Kreis Höxter
Gerhard Steinborn, Höxter
Unter den zahlreichen einheimischen Arten der Nagetiere sind die Bilche oder Schläfer am wenigsten bekannt. Das liegt an ihrer heimlichen, vorwiegend in der Dämmerung und bei Nacht aktiven Lebensweise, sowie ihrer lückenhaften Verbreitung. Von den vier europäischen Schläfern kommen bei uns im Kreis nur zwei, nämlich Siebenschläfer und Haselmaus, vor.
Der Siebenschläfer ist mit ca. 33 cm Gesamtlänge der größte der einheimischen Bilche. Seine Verbreitung im Kreisgebiet ist noch längst nicht umfassend untersucht, allerdings zeichnen sich schon gewisse Verbreitungsschwerpunkte ab. Die dichteste Besiedlung wird im Eggegebirge erreicht. Hier findet man die Art vorwiegend in den Bereichen, wo der Neokomsandstein an die Oberfläche tritt, also auf dem gesamten Eggekamm und an seiner östlichen Abbruchkante. Weitere Verbreitungsschwerpunkte liegen im Weserraum, östlich der Weser häufen sich die Vorkommen im Sandstein der Fürstenberger Klippen und der Hannoverschen Klippen bei Karlshafen. Westlich der Weser findet man ihn vorzugsweise auf den mit Laubholz sonnenexponierten Hügeln mit Kalkuntergrund. Wenn es auch auf den ersten Blick so erscheinen mag, sind es aber nicht geologische Formationen, sondern vielmehr klimatische Faktoren, wie das Bodenklima, die über Vorkommen oder Fehlen der Art entscheiden. Wie seine Vorfahren aus der Alactaga-(Pferdespringer-)Zeit mit Steppenklima liebt der Siebenschläfer auch heute noch Land schaften mit größerer Trockenheit und Sommerwärme. Es ist daher wohl auch kein Zufall, daß diese Art bei uns gern in Häuser einzieht und gewissermaßen mit dem anthropogenen "Siedlungsklima" in klimatische Regionen vordringt, die ihr eigentlich nicht mehr zusagen.
Zahlreiche Nachweise basieren auf Meldungen von unheimlichen Poltergeistern auf Dachböden in Waldnähe gelegener Siedlungen oder von Jagdhütten. Da er im Vergleich zu Ratten viel weniger nagt, richtet er kaum Schaden an. Lediglich Vorräte an Obst oder Keksen werden sehr gern verzehrt.
Normalerweise baut der Siebenschläfer große kugelige Freinester in Laubgehölze. Sie besitzen einen seitlichen Eingang und ähneln den Eichhörnchenkobeln. In Westfalen sind allerdings noch keine Freinester gefunden worden. Hier kommt die Art fast ausschließlich in Baumhohlen, Felsspalten, Häusern und vor allem in Nistkästen vor. In der Regel werden die Nistgeräte aber erst bezogen, wenn die letzte Vogelbrut längst ausgeflogen ist.
Auf dem vorhandenen alten Vogelnest baut sich der Siebenschläfer sein eigenes Nest aus frischem Laub. Meistens handelt es sich um Eichenlaub. Diese Lebensweise schafft den Bilchen zwar eine trockene und sichere Unterkunft, hat aber auch den Nachteil, dass die Vogelflöhe und anderes Ungeziefer auf den neuen Wirt umsteigen. Von außen sieht man dem Kasten meistens schon durch den Kot auf dem Dach an, daß er von Siebe nschläfern bezogen ist. Der früheste Bezug eines Nistkastens durch Siebenschläfer wurde von Bäcker Buthe, Höxter, am 28.6.82 bei Boffzen festgestellt. Im Sauerland liegen die Termine zum Teil etwas früher. Der Wurftermin der Jungen liegt aber erst später (Ende Juli, August). Beim Öffnen verlassen die Siebenschläfer den Kasten in der Regel nicht. Nötigt man sie mit sanfter Gewalt dazu, flüchten sie meistens nur langsam und nicht sehr weit. Obwohl sie im Ernstfall blitzschnell klettern können, erklimmen sie oft nur ein Stück des Stammes, um von hier der Nistkastenkontrolle zuzusehen. Ein Fangen der Tiere mit der Hand ist jedoch nicht ratsam, da sie ordentlich zubeißen können. Mit Einsetzen der ersten Nachtfröste verlassen sie die Nistkästen, um frostgeschützt in selbstgegrabenen Erdhöhlen oder in Felsspalten zu überwintern. Einzelne Tiere kann man aber auch noch bis Anfang November antreffen. Möglicherweise versuchen diese Exemplare in den Nistkästen zu überwintern. Über den Erfolg einer solchen Aktion ist aber noch nichts bekannt.
Sein Nahrungsspektrum ist auch noch nicht endgültig geklärt. Bekannt ist, daß der Siebenschläfer im Herbst besonders Obst und Waldfrüchte frißt. Aber auch tierische Kost scheint er nicht zu verachten. Er plündert gelegentlich Vogelnester und frißt zumindest in der Gefangenschaft auch Mäuse, von denen er nur die ausgenagten Bälge übrig läßt. Über die Nahrung im Frühjahr ist wenig bekannt. Sie besteht vermutlich aus Knospen und junger Rinde, evtl. auch aus Insekten und Würmern wie beim Gartenschläfer.
Weit mehr als über den Siebenschläfer ist über den kleinsten Bilch, die HASELMAUS, bekannt. Das liegt einfach daran, daß sie in ihr zusagenden Lebensräumen ungleich zahlreicher vorkommt.
Zur Fortpflanzung gelangen folgende Beobachtungen:
11.6.72 Auf einem Weg bei Neuenheerse lag eine verletzte, noch lebende junge Haselmaus. Die Augen waren schon offen. Das Alter betrug demnach 15 - 20 Tage. 29.9.73 In einem Bodennest zwischen den Wurzeln einer Altfichte befanden sich noch sieben blinde Junge. 1.9.79 1 x 4 Junge (in einem Freinest) 11.9.79 1 x 8 Junge (4 Männchen, 4 Weibchen, in einem Freinest) 1 x 5 Junge (1 Männchen, 4 Weibchen, in einem Freinest) 6.9.80 In Nistkästen: 1 x 1 Junges (fast erwachsen) 1 x 4 Junge (noch blind) 2 x 5 Junge (noch blind) 1 x 7 Junge (ca. 2-3 Wochen alt) 5.10.80 1 x 2 Junge (fast ausgewachsen) in Nistkasten 25.8.81 In Nistkästen: 1 x 2 Junge (fast ausgewachsen) 1 x 5 Junge (ca. 2 Wochen alt) 1 x 6 Junge (noch blind) 22.10.81 In Nistkästen: 3 x 1 Alttier und 1 Jungtier winterschlafend
Zwei Wurftermine zeichnen sich ab: Juni und August/September. Durchschnittliche Wurfgröße: 5,4 Junge (Dabei sind die Würfe mit ein oder zwei Jungen nicht berücksichtigt, weil es sich hier stets um ausgewachsene oder fast ausgewachsene Jungtiere handelte und ich mir nicht sicher bin, daß nicht ein Teil der Jungen das Nest schon verlassen hat. Bei Würfen mit noch unselbstständigen Jungen betrug die Zahl in allen Fällen mindestens vier.
Über Bestandsschwankungen und Siedlungsdichte liegen noch nicht genug Ergebnisse vor. Man muß in einem bestimmten Gebiet repräsentative Fänge durchführen oder gezielt Nester suchen. Letzteres ergab an der Westseite der Egge, unweit des Kreises Höxter, in einem Optimalbiotop (hochgrasige Fichtenschonung von drei Seiten mit Buchenhochwald umschlossen) eine erstaunliche Siedlungsdichte von 5,12 Ex./ha. Im Kreisgebiet wurden bisher nur Nistkästen im Scherfeder Forst kontrolli ert. Sie geben keine Hinweise auf die Siedlungsdichte, da diese einmal von der Zahl der aufgehangenen Nistkästen abhängt und man außerdem nicht weiß, wie viel Paare keine Kästen bezogen haben. Vergleicht man aber den Besatz über mehrere Jahre, so lassen sich immerhin Aussagen über Bestandsschwankungen durchführen (vorausgesetzt, man kontrolliert in jedem Jahr ziemlich genau zur gleichen Zeit). In einem Revierteil des Scherfeder Waldes betrug der Besatz an Haselmäusen im Oktober 1980 30,5%. 1981 waren es zur gleichen Zeit in den gleichen Kästen nur 25,0%(gemessen an der Anzahl der Kästen). Das entspricht einem Bestandsr& uuml;ckgang von 18,18%. Diese Aussage ist im Augenblick jedoch wissenschaftlich vollkommen bedeutungslos. Um gesicherte Aussagen zu erhalten, muß ein größeres Gebiet vor allem über einen längeren Zeitraum untersucht werden.
Fest steht aber, daß Haselmäuse Nistkästen, die in ihrem Lebensraum aufgehängt werden, sehr schnell ihren natürlichen Unterschlüpfen vorziehen. Allerdings ziehen auch sie, genau wie die Siebenschläfer, erst nach der Brutsaison der Vögel ein. In den Nistkästen bestanden die Nester überwiegend aus trockenem Buchenlaub. Es lassen sich deutlich Schlaf- und Wurfnester unterscheiden. Die Schlafnester sind viel lockerer gebaut. Über dem Nest liegen meistens noch lose vertrocknete Blätter. Die Wurfnester sind demgegenüber größer und sehr fest. Sie bestehen meistens nicht nur aus Laub, sondern enthalten zerschlissenes Gras und Bast. Besonders auffällig ist der stabile Nesteingang. Nur in zwei Fällen wurden auch grüne Buchenblätter verarbeitet. Ein Nest bestand zur Hälfte aus Birkenrinde.
Die Freinester waren überwiegend Gras- und Laubmischnester. Reine Grasnester fand ich nur zwei. Zwei weitere Nester waren außen nur aus Distelblättern gefertigt. Das Innere war aber mit Buchenlaub ausgekleidet.
Neststandorte: Nistkasten: 169 Schlehe: 11 Himbeere: 3 Jungfichten: 17 Fuchskreuzkraut: 1 Schmalblättriges Weidenröschen: 2 Erdboden zw. Wurzeln einer alten Fichte: 1 Nesthöhe: Nistkästen: 4 - 5,5m 169 1,6m 1 0,8 - 1m 8 0,5 - 0,79m 17 0,1 - 0,49m 8 0 - 0,09m 1
Die Mehrheit der Haselmäuse verbringt den Winterschlaf unter der Erdoberfläche. Bisher fand ich aber schon in 11 Nistkästen und in einem Freinest überwinternde Haselmäuse. In neun Fällen handelte es sich um adulte Einzeltiere, in drei Fällen um je ein Weibchen mit einem Jungtier. Bisher konnte leider erst in einem Fall überprüft werden, ob die Tiere den Winter im Nistkasten überstehen. In diesem Fall überlebte ein Tier den Winter 80/81 nicht. Ich fand es mumifiziert in typischer Winterschlafstellung im Kasten. Das Nest (ganz aus Buchenlaub) hatte sich im Laufe des Winters aufgelöst und war zu einer Laubschicht von ca. 1,5 cm zusammengesackt.
Bei den Nistkastenkontrollen gelangen auch einige Verhaltensbeobachtungen. Ein Tier drohte mir bei einer Kontrolle zu entwischen. Beim reflexartigen Zufassen erwischte ich nur noch den Schwanz. Daraufhin drehte sich die Haselmaus um und biß sich selbst in den Schwanz. Dabei wurde die Schwanzhaut durchtrennt und ich hielt nur noch das Fell in der Hand. Es gelang mir dennoch das Männchen einzufangen und einige Zeit zu Hause zu halten. Die überstehende Schwanzrübe wurde innerhalb der nächsten Stunden vom Tier selbst abgebissen. Das fehlende Stück wächst nicht mehr nach.
Das Fluchtverhalten bei Öffnung eines Kastens oder Freinestes ist unterschiedlich. Weibchen mit Jungen verlassen das Nest selten, aber auch Einzeltiere bleiben oft im Nistkasten, wenn man vorsichtig hantiert. Sie klettern sogar durch die Finger in den oberen oder unteren Bereich des Kastens. Veranlaßt man die Tiere dann vorsichtig zur Flucht, fliehen sie stets baumaufwärts. Dabei klettern sie manchmal auf der dem Beobachter abgewandten Seite bis in die Krone, manchmal auch nur bis hinter oder auf den Nistkasten. Bei schnellen, plötzlichen Bewegungen springen sie mit einem Satz aus dem Nest und fallen, alle Gliedmaßen weit ausgestreckt in der Art der Flughörnchen, zu Boden. Hier verstecken sie sich entweder im Unterholz oder sie klettern sofort den nächsten Baum wieder hoch.
Bei der Kontrolle eines Wurfnestes mit kleinen Jungen vollführte ein Weibchen einen Angriff, bei dem es das Nest aber nicht ganz verließ. Bei erneuter Annäherung des Finders stieß es fauchende und entfernt an Knurren erinnernde Laute aus. Holt man winterschlafende, vollkommen steife Tiere aus dem Nest, so stoßen sie oft sehr hohe helle Pfeiflaute aus, die etwa im Atemrhythmus erfolgen.
Unter allen Haselmausnestern in Nistkästen befanden sich Vogelnester, obwohl die Kästen im Vorjahr gereinigt wurden. Das bedeutet, daß die Haselmäuse in der Regel erst nach den Vogelbruten einziehen.
An Parasiten fiel neben kleinen Flöhen (wahrscheinlich Vogelflöhe) besonders häufig eine sehr große Flohart auf. Als Forstschädling kommt die Haselmaus auch in Jahren stärkerer Vermehrung nicht in Betracht, weil ihre Dichte viel zu gering ist. Sie steht daher auch wie alle anderen Schläfer unter Naturschutz.
Ob der Gartenschläfer im Kreis Höxter vorkommt, ist nicht bekannt. Einzelvorkommen sind aber nicht auszuschließen. Da, wie schon erwähnt, über die Verbreitung der Schläfer im Kreis und seinen angrenzenden Gebieten noch große Lücken klaffen, bin ich für die Mitteilung jeder Beobachtung oder versehentlichen Fanges (z.B. in Rattenfallen) dankbar.
Literatur: | GOETHE, F. (1955): Die Säugetiere des Teutoburger Waldes und des Lipperlandes; Abhandl. aus dem Landesmus. f. Naturkunde, Münster |
Art: Siebenschläfer
Art: Haselmaus
links:
Siebenschläfer
im Nistkasten
Foto: Steinborn
unten:
Haselmaus
im Nistkasten
Foto: Dr. Vierhaus